Juni 2018, Azoren – (TL) Das ist unmöglich!! Da sind Schiff und Crew wochenlang über den großen Ozean gefahren, und die Frau begrüßt sie mit einem KUGELFENDER ?! Kann sie nicht gleich schreien: „Hallo!! Ich bezweifle, dass ihr anlegen könnt !“ ::::
Samstag, d. 16. Juni 2018, Santa Maria, Azoren – Vila do Porto ist ein Hafen, wie Winnie und ich ihn lieben. Die Insel liegt mitten im Ozean, fernab von allem, deshalb gibt es hier keinen Touristen-Schnickschnack. Es ist Thunfischsaison, und es wird ohne Unterbrechung geschuftet. Jeden Tag laufen die Thunfisch-Boote schwer beladen ein und löschen ihre Ladung: Hunderte, Tausende von Thunfischen. Wir schauen den Fischern dabei zu. Dies ist keine Ferienidylle, das gebe ich zu! Die Frau ist nicht begeistert. Sie nennt das: Thunfisch-Massaker.
Letzte Woche ist es aber auch Winnie und mir fast ein bisschen viel geworden. Da legten, zusätzlich zu den Thunfisch-Booten, mindestens 20 Segler der „Atlantic Rallye for Cruisers“ im Hafen an. Sie kamen von den Bermudas und machten, bevor es nach Lagos in Portugal ging, für einen Zwischenstop auf den Azoren fest. Alle waren vor dem großen Stelldichein ganz aufgeregt.
Es ist ganz schön stressig, wenn ein Hafen in kurzer Zeit so viele Schiffe zu begrüßen hat. Es waren kaum die ersten drei angekommen, da wurde auch schon eines beim Anlegen von einer Bö erfasst und trieb in der Boxengasse quer. Es ist aber nichts passiert, denn es standen genug Männer parat, die – mit beherztem Sprung auf die Nachbarlieger und dann rücklings auf den Laufdecks liegend – die drohende Havarie unter lauten Kommando-Geschrei Fuß um Fuß verhinderten. Sie brachten den Segler mit vereinter Manneskraft wieder in die Spur.
Winnie wurde trotzdem blass. Er hängt, auch wenn wir im Hafen liegen, außen an meinem Achterschiff, und zwar meistens zur Boxengasse hin. So eine Windsteueranlage ist schnell kaputtgefahren….
Die Frau hat das bemerkt, doch sie weiß auch, dass sie gegen ein 25t-Schiff nichts ausrichten kann. Als die Boxen neben mir belegt werden sollten, hat sie sich deshalb mit dem dicken, fetten Kugelfender bewaffnet! Da ist der Mann ganz blass geworden. Es ist manchmal wirklich peinlich, dass die Frau die seemännische Etikette auch nach so vielen Jahren immer noch nicht verinnerlicht hat!
Winnie findet das auch. Da sind Schiff und Crew wochenlang über den großen Ozean gefahren, sagt er, und Barbara begrüßt sie mit einem Kugelfender ?! Kann sie nicht gleich schreien: „Hallo! Ich beweifle, dass ihr anlegen könnt! “ Unmöglich.
Der Mann sagte auch, das sei nicht nötig und total übertrieben! Barbara hat den Kugelfender deshalb wieder festgebunden. Es ist natürlich trotzdem alles gut gegangen. Nebenan legten die North Wind und die Silver Star an, und Jochen hat den Kugelfender nur einmal und ganz, ganz kurz genommen und dazwischen gehalten, und der Skipper der North Wind hat sich dafür bedankt. Ich bin nämlich aus Aluminium, und die Macken mache ICH bei den ANDEREN Schiffen!
Es ist allerdings traurig, wie schnell sich selbst die stolzesten Regatta-Schiffe in ein stinknormales Campingmobil verwandeln. Die North Wind war gerade festgemacht, das Anleger-Bier kaum ausgetrunken, da hat die Bordfrau der North Wind schon -ruckzuck – Unterwäsche und T-Shirts auf den Schoten zum Trocknen aufgehängt. Winnie feixte und lachte. Hossa, hossa! Herren-Unterhosen mit Seiten-Eingriff!
Mittlerweile sind alle ARC-ler wieder verschwunden, der Hafen ist leer. Nur die Fischer müssen immer noch Schwerstarbeit leisten. Nachts ist es laut, weil die Generatoren laufen und die Pumpen arbeiten. Der Mann und die Frau wollen weiter.
Sonntag, d. 17. Juni 2018, Praia Formosa, Santa Maria – Wir haben in der Nacht vor dem Praia Formosa geankert, und heute soll es losgehen. Das azorische Archipel ist riesig. Von Santa Maria, der östlichsten Insel des Archipels, sind es über 320 Seemeilen bis zu den westlichsten Inseln nach Flores oder Corvo. Das entspricht ungefähr der Strecke von Kiel bis Danzig! Auch bis zu den Mittelinseln Pico, Faial und Sao Jorge werden wir 180 Meilen und mindestens eine Nacht unterwegs sein.
Diesmal haben sich die beiden die Wetterkarte und die Seekarte ganz genau angeschaut. Sie erhoffen sich einen angenehmen Törn mit leichten Winden, und Barbara hat deshalb alle Unterwasserberge markiert, die an unserer Strecke liegen. Stundenlang hat sie im Internet nach der Topographie der Azoren gegoogelt. Dort, wo die Wassertiefe nur noch 1000 Meter oder weniger beträgt, will sie nach Walen Ausschau halten. Barbara hat gelesen, dass Wale sich dort besonders gerne aufhalten, weil es dort gutes Futter gibt. Sie hat die Kamera aufgeladen und das Teleobjektiv hervorgeholt. Wenn ein Wal kommt, will sie Fotos machen.
Als wir um 9:00 aufbrechen, ist allerdings schönster Sausewind. Wir rauschen unter Vollzeug nur so dahin. Alle sind glücklich, nur Winnie ist eingeschnappt. Weil der Mann den Genacker ausgepackt hat, steuern Jochen und Barbara selbst – oder lassen mich und meinen elektronischen Autopiloten ans Ruder. Dabei segeln wir am ersten Unterwasser-Gebirge, dem „Monaco Spur“ glatt vorbei. Die magische „Unter-1000-Meter-Wassertiefe-Marke“ haben sowohl der Mann als auch die Frau verpennt, und auf Wale hat niemand geachtet. Haha, sagt Winnie.
Montag, d. 18. Juni 2018, Nordatlantik – Die Nacht ist ruhig, der Wind schläft ein, und wir tuckern mit lautem Motorgebrumm in Richtung Nordwesten. Winnie ist schon wieder in den Ruhestand versetzt worden, langsam wird er richtig sauer. Was soll das? Ist das hier Rentner-Schippern?? Mit Segeln hat das nichts zu tun!!!
9:00 Uhr – Der Mann und die Frau sind allerdings sehr gut gelaunt. Beide konnten abwechselnd ausnehmend gut schlafen, und am Morgen gab es ein leckeres Frühstück.
Barbara hat außerdem herausgefunden, dass wir uns bald dem „Agostinho Seemount“ nähern, dessen Gipfel nur 600 Meter unter der Wasseroberfläche liegt. Hier könnte es klappen mit den Walen!
13:00 Uhr – Wir segeln wieder. Doch da! Was ist das?! Ganz weit draußen sieht die Frau eine kleine Wasserfontäne. Oder doch nicht?? Doch, da ist sie wieder. Ich laufe unter Segeln ganz langsam auf den Punkt zu, und etwa 100 Meter davor rollt der Mann die Genua ein und fährt ganz langsam im Kreis. Dort, da vorne, schwimmt tatsächlich ein riesiger Pottwal langsam und träge vor sich hin. Er schnaubt, taucht ab, taucht auf, schnaubt, taucht ab – und schließlich, als es ihm zu bunt wird, geht er endgültig auf Tauchfahrt und grüßt uns zum Abschied noch einmal mit seiner prächtigen Schwanzflosse.
Diesmal hat die Frau ihre Sache gut gemacht. Sie hat nicht das Wasser, sondern tatsächlich den Wal fotografiert.
15:00 Uhr – Jetzt kommt der Pico in Sicht, der zweithöchste Vulkan Europas und die höchste Erhebung des mittelatlantischen Rückens. Bisher lag er unter Wolken. Doch holla, was geht hier ab?! Direkt davor, vor der Silhouette des Pico und ziemlich genau über dem „Martin Behaim Seemount“ , liegt schon wieder etwas ganz Großes im Wasser. Noch ein Pottwal !! Er schwimmt direkt vor unserem Bug durch, in nicht mal 20 m Entfernung. Jetzt ist auch der Mann ganz aufgeregt, er fotografiert und fotografiert, und die Frau fährt die Kurven.
Winnie allerdings ist immer noch sauer. Er sagt jetzt gar nix mehr.
17:00 Uhr – Wir kommen in die Reichweite der Inseln, und bei der Frau piept plötzlich der kleine, schwarze Telefonapparat, auf dem sie immer herumwischt. Ulrike aus Sao Jorge hat geschrieben, sagt sie. „Hi, wir sehen Euch auf AIS – kommt ihr in Urzelina vorbei? Dann winken wir Euch zur Begrüßung zu!“.
20:00 Uhr – Da stehen sie! Als wir in Urzelina vorbeifahren, stehen oben am Berg Ulrike und Dirk, die Skipper meiner guten Freundin „Mariposa“. Ich habe Mariposa vor zwei Jahren auf Porto Santo bei Madeira kennengelernt, und wir beschlossen, mit unseren Leuten auf die Azoren zu segeln. „Mariposa“ will sich jetzt allerdings neue Skipper suchen, weil die beiden nicht mehr genug segeln. Ihre Ex-e haben sich auf der Insel „niedergelassen“ und ein kleines Angelboot gekauft. Wie gemein ist das denn?? Mariposa hat die Scheidung schon eingereicht. Sie liegt jetzt im Hafen von Velas auf dem Trockenen und bereitet sich auf ein neues Leben vor. Wir beide werden einiges zu bequatschen haben!
21:00 Uhr – Wir sind da. War wieder mal nicht ohne. Erst sah es aus, als ob die Marina von Velas auf Sao Jorge rappelvoll wäre. Die Frau wollte schon wieder rausfahren und vorm Hafen ankern. Der Mann aber bestand darauf, erst nochmal ganz genau zu gucken. Jochen ist dann – rückwärts – durch eine ganz, ganz enge Durchfahrt bis in die hinterste Ecke der Marina gefahren, vorbei an zwei riesigen Katamaranen und zwei dicken Schiffen. Das war Maßarbeit. Überall krochen die Leute aus der Kajüte und schauten erwartungsvoll zu. Gibt es Hafenkino? Als der Mann aber ganz suutsche angelegt hat, haben sie uns applaudiert.
Das war eine Begrüßung! Jetzt ist sogar Winnie wieder aufgetaut. Krass, das war cool, sagt er. Und ganz leise noch: Yepp! Und nirgendwo ein Kugelfender!
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