August 2018, Azoren – (TL) Der Mann und die Frau werden bei viel Welle beide ein wenig seekrank. Das sagen sie zwar nicht so direkt, aber ich bemerke es trotzdem. Der Mann geht dann ans Ruder und steuert, steuert, steuert, obwohl er das auch Winnie überlassen könnte. Wenn es schlimmer wird, legt er sich auf die Cockpit-Bank. Er guckt dann grimmig, steckt sich Kopfhörer ins Ohr, starrt auf den Horizont – und redet sehr, sehr wenig ::::
Freitag, d. 3. August 2018, Sao Jorge, Azoren – Winnie the Pilot ist wieder auf seinem Posten und strahlt über beide Ohren. Seine Steuerleinen sind schon seit vorgestern angeschlagen. Morgen soll es von den Azoren losgehen in Richtung Festland. Ungefähr 1000 Meilen werden wir segeln, bis wir im Süden von Portugal in Lagos an der Algarve ankommen.
Der Mann und die Frau haben lange überlegt, ob sie losfahren sollen. So richtig ideal ist die Wetterprognose nicht. Wenn wir in etwa 5-6 Tagen ankommen, wird dort der Portugiesische Passat blasen. Nordwinde von 7 Beaufort und eine 3m -Welle sind angesagt. Mir macht das nichts aus, Winnie findet das sogar gut, und auch der Mann sieht „kein Problem“. Nur die Frau, der gefällt das nicht. Sie zögert.
6 Tage seien eine lange Zeit, da könne sich die Starkwind-Prognose auch noch in Luft auflösen, meint der Mann. Er hat irgendwo gelesen, dass die Trefferwahrscheinlichkeit einer Prognose für Tag 6 nur bei etwa 30 Prozent läge. Wozu sich also Sorgen machen? Winnie stimmt ihm zu. „30 Prozent, das kannst Du ignorieren“, sagt er. „Und der Portugiesische Passat, der ist nicht tödlich, nur unangenehm, und auch das nur auf dem falschen Kurs!“.
Die Frau sieht das anders. Stell dir vor, du musst eins von drei Gläsern wählen. Zwei sind mit Wein, eins ist mit Essig gefüllt. Würdest du dann gleich einen großen Schluck nehmen, oder erstmal zögern und schnuppern? Da sagt der Mann nix mehr, und auch Winnie hält die Klappe.
Samstag, d. 4. August 2018, Sao Jorge, Azoren – Wir fahren los, 30 Prozent Essig hin oder her. Bis Tag 5 sind die Prognosen in Ordnung, und die beiden wollen schließlich unbedingt nach Portugal. Ein mäßiger Nordwind wird uns auf einem Halbwind- bzw. gemäßigten Amwind-Kurs hurtig nach Osten bringen, und vielleicht können wir auch noch ein wenig vorhalten. Dann nämlich können wir den „Portugiesischen Passat“ später auf einem Raumschotkurs abreiten.
Um 9:00 werfen wir die Leinen los. Bis an Sao Jorges Ostspitze laufen wir unter Motor. Noch scheint die Sonne, und auf dem Kanal tanzt silberglänzend eine kleine Windsee. Um 14:00 Uhr haben wir Topo erreicht, die Ostspitze der Insel. Wolken ziehen auf, und es setzt ein konstanter Nordwind der Stärke 4 ein. Auf geht´s nach Lagos!
Sonntag, d. 5. August, Nordatlantik – Der Mann hat gestern Abend noch mit dem neuen Satellitentelefon einen Wetterbericht abgeholt. Mittlerweile bestätigt sich: Wenn wir an der Küste ankommen, wird es kacheln. Der Wind hat auf NNO gedreht und weht uns mit 5 Windstärken auf die Nase. Weil wir vorhalten wollen, um uns für den Portugiesischen Passat zu rüsten, segeln wir jetzt einen Amwindkurs gegen eine Welle von 3 Metern. Das ist wirklich mühsam, und wir kämpfen uns teilweise mit weniger als 5 Knoten voran. Mir macht das nichts, da wird endlich das Vorschiff mal wieder richtig sauber. Winnie stört das auch nicht. Aber unsere Crew ….
Der Mann und die Frau werden bei viel Welle beide ein wenig seekrank. Das sagen sie zwar nicht so direkt, aber ich bemerke es trotzdem. Der Mann geht dann ans Ruder und steuert, steuert, steuert, obwohl er das auch Winnie überlassen könnte. Wenn es schlimmer wird, legt er sich auf die Cockpit-Bank. Er guckt dann grimmig, steckt sich Kopfhörer ins Ohr, starrt auf den Horizont – und redet sehr, sehr wenig.
Die Frau ist anders. Sie bekommt, wenn sie seekrank wird, schlechte Laune und schimpft. Sie redet sehr, sehr viel. Das es ihr beschissen gehe. Das dies ihr letzter Atlantik-Törn sei. Dass der Mann immer viel zu optimistisch sei. Dass sie sich nie, nie wieder zum Auslaufen überreden lasse, wenn sie nicht 100% überzeugt sei … Winnie ist entsetzt. Was kann der arme Mann für das Wetter? Das Wetter ist, wie es ist! Er kann auch nichts für den Kurs, denn den hat die Frau sich selbst so ausgesucht!
Jetzt allerdings muss der Mann dennoch „Gut-Wetter“ machen. Wenn die Frau schimpft, muss er die Stöpsel aus den Ohren nehmen und zuhören. Die Frau will, obwohl es jetzt schon ziemlich rappelt, noch mehr Höhe laufen. Wahrscheinlich hat sie Recht. Ein starker Strom aus Nord hat uns nach Süden versetzt, und wir sind schon fast auf der Höhe von Lagos. So wird das nix. Wenn wir vorhalten wollen, um möglichst weit im Nordosten in die Starkwindzone einzufahren, dann müssen wir noch stärker anluven. Für mich und Winnie ist das kein Problem. Für den Mann auch nicht, er hat selbst schon darüber nachgedacht, das habe ich gesehen. Schließlich fand er es aber wohl klüger, diesen Vorschlag der Frau zu überlassen….
Montag, d. 6.August, Nordatlantik – Das Anstrengendste an einem Langtörn ist immer, die Crew bei Laune zu halten. Große Schläge wie der unsere von den Azoren bis nach Portugal sind nämlich in erster Linie: langweilig. Es gibt – auch dank Winnie the Pilot – nicht viel zu tun. Es ist kaum Schiffsverkehr, also keine anderen Schiffe, mit denen man funken könnte. Hallo, woher kommt ihr? Wohin wollt ihr? Keine Antwort, denn hier ist nix als Ozean. Ich segele schon seit Ewigkeiten auf Steuerbord-Bug. Keine Wende, keine Halse, immer nur geradeaus.
Winnie und ich bemühen uns deshalb immer um ein wenig Abwechslung. Mal ein Extra-Windfeld mitnehmen, mal ein wenig von der Strömung treiben lassen, mal ein wenig in die Welle fahren.
Um 16 Uhr ist allerdings so viel Welle, dass Jochen und Barbara sich bei jedem Schritt an Bord festhalten müssen. Essen und Trinken heisst Essen oder Trinken. Barbara kann das Glas nicht abstellen, ohne dass das Getränk überschwappt. Jochen kann die Schale nicht abstellen, ohne dass die Nudeln herausrutschen. Eine Zeitlang findet die beiden das lustig, aber irgendwann nervt es gewaltig.
Die Stimmung ist schlecht. Das Wetter auch. Es regnet, und alles ist in Grau getaucht. Immer wieder schwappen die Brecher über unser Deck. Als die Frau um 21 Uhr die erste Nachtwache übernimmt und der Mann in die Koje geht, ist ganz, ganz dicke Luft an Bord.
Dienstag, d. 7. August, Nordatlantik – Heute des Nachts, Winnie und ich können es kaum glauben, haben wir die Frau jauchzen gehört. Gegen 24 Uhr, es ist stockdunkle Nacht, klart es plötzlich auf. Der Sternenhimmel ist phantastisch! Die Frau versucht gerade, ein paar Sternbilder zu finden, da fällt eine kleine Gruppe von Sternschnuppen vom Himmel und zieht einen hellen Schweif hinter sich her. Barbara hat es offensichtlich geschafft, sich zeitgleich etwas zu wünschen, denn sie schlägt die Hände vors Gesicht und quietscht dabei. All ihr Ärger ist jetzt umgeschlagen in Begeisterung. Doch es kommt noch besser: Auch ich ziehe schon die ganze Zeit einen Schweif aus Silber hinter mir her. Dort, wo ich meine Ruderblätter und den Kiel durch das Wasser ziehe, glitzern und blinken die Meeresleuchttierchen im rauschenden Kielwasser. Von unten, dort wo die Wale und Delphine tauchen, sehe ich auch aus wie eine kleine Sternschnuppe. Ab und zu kommen ein paar Delphine vorbei, um sich das anzuschauen. Ein tolles Spektakel!
Als der Mann um zwei Uhr aus der Koje kommt und die zweite Nachtwache übernimmt, hat sich das Blatt komplett gewendet. Segeln vom Feinsten, tolles Naturschauspiel, allen geht es wieder gut! Die Frau geht trällernd in die Koje. Sie schläft sofort ein. Der Wind lässt etwas nach.Er kommt achterlicher. Es ist trocken. Wir segeln aufrechter. Das Bordleben wird schön!
Morgens machen sich die beiden ein leckeres Frühstück und nehmen danach mit der Salzwasserdusche im Cockpit ein erfrischendes Duschbad. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Wir laufen so ruhig, dass die beiden unter Deck die Pantry in Betrieb nehmen, ein richtiges Essen kochen und Brot backen. Ach, wie kann das Segeln schön sein!
In navigatorischer Hinsicht gibt es heute etwas Abwechslung. Unser Streckenwetterbericht zeigt, das etwas weiter nördlich die Winde westlicher wehen. Wir schieben uns mit Hilfe meines Motors weiter in Richtung Nordosten. Um 18 Uhr ist eine gute NW-Strömung erreicht, die uns den ganzen nächsten Tag erhalten bleiben wird.
Mittwoch, d. 8. August, Nordatlantik – Das Genießerwetter hält an. Die Sonne lacht immer noch, der Wind weht mit 3-4 Beaufort aus Nord bis Nordwest, und Winnie kann locker einen Halbwindkurs auf Lissabon halten, bis wir irgendwann nach Süden abbiegen. So kann uns der Portugiesische Passat nicht mehr schrecken! Soll er kommen!
An Bord duftet es wunderbar nach Pfirsichkuchen.
Donnerstag, d. 9. August, Nordatlantik – Es geht los. Die Wellenberge werden immer höher, und der Nordwind wird immer stärker. Das ist Sausewind! Heute Nacht sind wir abgebogen und haben Kurs auf Lagos genommen. Ich gleite jetzt teilweise mit bis zu 12 Knoten von den Wellenbergen, die bis zu 5 Metern hoch sind, hinab ins Tal. Das Wetter ist immer noch klar, die Sonne scheint, die Sicht ist gut.
Freitag, d. 10. August, Nordatlantik – Heute ist ein besonderer Tag. Ziemlich genau um 8 Uhr morgens wäre es soweit. Seit 10.000 Meilen, das sind etwa 18.000 Kilometer, schippern Winnie und ich den Mann und die Frau jetzt sicher über den großen Ozean. Wär das nicht eine kleine Feier wert gewesen? Winnie findet das auch.
Es ist nur: Als der Mann um 7 Uhr eine Tüte Milch für den Frühstückskaffee aus der Bilge holt, bemerkt er, dass dort etwas Salzwasser hin und herschwappt. Alarm! Die beiden sind jetzt – auch ohne Frühstückskaffee – sofort hellwach. Meinen 10.000-Meilen-Tag, den haben sie jetzt komplett vergessen.
Sie nehmen das Wasser auf (es sind etwa 3 Liter), inspizieren alle Borddurchlässe (sind alle trocken), den Kühlkreislauf (trocken und salzfrei) und die Seewasserpumpe. Alles ist OK. Jochen ist beruhigt, aber sucht weiter. Stundenlang steckt er mit seiner Taschenlampe kopfüber in irgendwelchen Schränken, Kisten und Kammern. Jetzt sind ihm wieder Seebeine gewachsen.
Nach mehreren Stunden hat er die Übeltäterin gefunden! Beim Einbau des Schwarzwassertanks ist vor vielen Jahren die Absaugöffnung unvollständig abgedichtet worden. Jetzt sickert dort – immer wenn ein Atlantikbrecher das Laufdeck überspült – ein klein wenig Meerwasser hinein und landet dann in der Bilge. Wir sind nicht ganz dicht! Reparieren können und müssen die beiden das allerdings jetzt hier nicht. Ist nicht kritisch, kann warten! Wir sind bald da….
Ansonsten: Immer noch die große Rauschefahrt. Wir surfen fast über die Wellen, und die Algarve kommt mit jeder Sause näher.
Samstag, d. 11. August 2018, Sagres – Es ist geschafft. Gleich mit Beginn des neuen Tages, um 0:30 Uhr, fällt unser Anker nach 6 1/2 Tagen auf See in den Grund der Bucht von Sagres. Mit uns liegen noch 3 andere Schiffe hier, die vor uns angekommen sind.
Alle sind glücklich und zufrieden. Der Mann und die Frau holen sich ein Bierchen aus dem Kühlschrank und stoßen an. Gut gemacht, TinLizzy, sagt der Mann, und klopft mir auf das Deckshaus. Es ist nur: an die 10.000 Meilen, an die hat er immer noch nicht gedacht.
Ich bin wirklich ein wenig beleidigt! ….
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Törnstatistik:
Entfernung: Velas – Sagres – 1017 sm
CoG direkt: 110 °
Wind max N 7
Wind min NO 2-3
SoG max 12 Knoten
SoG av. 6,5 Knoten
M | D | M | D | F | S | S |
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