Mai 2018, Caleta del Sebo, La Graciosa – Ein junger Mann und eine junge Frau spielen, umsonst und draußen, traditionelle kanarische Lieder auf der Gitarre, und etwa fünfzig ebenso junge Menschen lauschen. Als wir später am Strand noch ein Glas Wein trinken, bietet uns jemand Haschisch zum Kauf an. Wir lehnen dankend ab – und sind dennoch irgendwie gerührt. Das ist uns schon ewig nicht mehr passiert. Wir scheinen – wohl weil es dunkel ist – jünger zu wirken, als wir an Jahren zählen 😉 ::::
Donnerstag , d. 03.05.2018, Caleta del Sebo – Es ist, als versetze mich eine geheimnisvolle Kraft zurück in die Vergangenheit; in eine Zeit, als der Griechenlandurlaub noch Jedermanns Traum war, als wir mit Interflug von Ost-Berlin nach Athen flogen; als wir in Piräus mit dem Rucksack auf eine der kleinen Fähren stiegen, die noch aussahen wie Schiffe, und eine der zahlreichen Inseln der Ägäis ansteuerten. Als wir im Sonnenschein auf dem Oberdeck saßen, jung, frisch verheiratet und erwartungsvoll, einem glücklichen Urlaub entgegen sehend; und als am Kai „unserer“ Insel schon eine ungeduldige Menschenmenge stand, auf Urlauber, Heimkehrer und Warenlieferungen wartend, um Einkäufe entgegen zu nehmen oder Touristen abzufangen, mit dem Taxi zu chauffieren oder ein Fremdenzimmer zu vermieten. So, genau so! – ist La Graciosa.
Seit gestern sind wir wieder hier. Nach einem anstrengenden Kreuzkurs von Arrecife in Richtung Norden haben wir gegen 18 Uhr in Caleta del Sebo festgemacht. Wir liegen mit Tinlizzy im Yachthafen , die Stege sind alt und ohne Strom, die (einzige) Dusche beim Hafenbüro ist kalt. Uns macht das nichts, es gefällt uns. Schon im letzten Jahr waren wir von der Insel begeistert, und es zog uns magisch ein weiteres Mal hierher.…
Diesmal werden wir wahrscheinlich länger hierbleiben. Noch ist kein Wetterfenster für die Weiterfahrt nach Madeira bzw. zu den Azoren in Sicht. Die Winde sind ungünstig, die Welle zu hoch. Wir werden den Sommer in La Graciosa erwarten.
La Graciosa ist mit etwa 20 km2 und etwa 750 Einwohnern die kleinste und nördlichste Insel der Kanaren, ein verschlafenes kleines Nest, das erst zum Leben erwacht, wenn morgens die ersten Fähren anlegen und die Tagestouristen aus Lanzarote bringen. In Caleta del Sebo, dem einzigen dauerhaft bewohnten Ort der Insel, finden sich lediglich ein paar Sandpisten, einige im afrikanischen Stil gehaltene Häuschen, ein paar Kneipen, Supermärkte, eine Inselbäckerei, eine Apotheke und ein Geldautomat. Dennoch hat die Insel wohl treue Fans, denn die wenigen, meist spanischen Inselurlauber wirken wie eine eingeschworene Gemeinschaft und scheinen sich untereinander gut zu kennen. Es ist eine sehr familiäre Atmosphäre, irgendwie aus der Zeit gefallen, die uns in ihren Bann zieht!
Abends gehen wir direkt am kleinen Stadtstrand Fisch essen. Sehr nett, sehr lecker – und sehr günstig.
Freitag, d. 04.05.2018, Caleta del Sebo – Einkaufen gewesen. In den beiden Supermärkten gibt es alles, was man braucht, und die Inselbäckerei zaubert fantastische Brote und leckere kleine Küchlein. Einen Ausflug können wir aber heute noch nicht machen, denn erst müssen wir unsere Druckwasserpumpe reparieren. Schon seit Tagen gibt sie merkwürdige Geräusche von sich. Jochen befürchtet, dass sie demnächst (und wahrscheinlich dann während der Überfahrt nach Madeira) den Geist aufgeben wird und wir kein Frischwasser mehr aus dem Tank pumpen können. Wir klemmen alles ab, und 1,2 3 – ist die Pumpe auch schon auseinandergenommen und gereinigt. Sie anschließend wieder zu entlüften, dauert allerdings Stunden! Erst am frühen Abend ist die Pumpe wieder vollständig betriebsbereit und schnurrt sanft vor sich hin, wenn wir den Wasserhahn aufdrehen. Na also!
Am Ufer erklingt derweil Gitarrenmusik. Ein junger Mann und eine junge Frau spielen – umsonst und draußen – traditionelle kanarische Lieder auf der Gitarre, und etwa fünfzig ebenso junge Menschen lauschen. Als wir später am Strand noch ein Glas Wein trinken, bietet uns jemand Haschisch zum Kauf an. Wir lehnen dankend ab – und sind dennoch irgendwie gerührt. Das ist uns schon ewig nicht mehr passiert. Wir scheinen – wohl weil es dunkel ist – jünger zu wirken, als wir an Jahren zählen ;-), …
Samstag, d. 05.05., Caleta del Sebo – Heute Inselumrundung auf Schusters Rappen. Nach dem morgendlichen Bad im Meer machen wir uns auf den Weg. Wir durchqueren den Ort Caleta del Sebo, passieren zahlreiche halbverfallene Häuser am Ufer des Rio del Sebo, kommen an einem Schiffsfriedhof vorbei und verlassen die Siedlung, um auf einem sandigen Pfad Richtung Norden zu marschieren.
Alle 10 Meter finden wir eigenartige Wegmarkierungen mit Nummern, die auf Holzpfählen in den Wegesrand gerammt sind. 224, 225, 226 …. Was soll das sein? Sind hier, im Naturpark des Chinijo-Archipels, etwa die Steine numeriert? Oder waren einfach noch ein paar EU-Gelder auszugeben? Wir folgenden den eigenartigen Markierungen und landen nach ca. 2 Stunden in Pedro Barba, einem verlassenen Dörfchen im Osten der Insel, das in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts als Fischereistation errichtet und in den 60ern wieder aufgegeben wurde. Heute wird es lediglich während der Sommermonate von Einheimischen als Sommerfrische genutzt. Wir picknicken an der Mole des ehemaligen Anlegers und ziehen dann weiter in Richtung Nordwesten.
Hier – in der Nähe der Traumstrände Lambra und La Concha, ist die geologische Vergangenheit der Insel mit Händen zu greifen. Überall liegen kleine, weisse Meeresschneckenhäuser im hellen, kalkigen Sand. Was bedeutet das? Teile der Insel müssen im Lauf der Jahrtausende unter Wasser gelegen haben….
Der Strand von La Concha ist wunderschön, aber gefährlich. Baden kann man hier nicht, denn die Unterströmungen sind zu stark und die Küste hat ihre Tücken. Abends lese ich, dass am Strand von La Concha vor mehr als 200 Jahren, nämlich am 17. Juni 1799, schon Alexander von Humboldt an Land ging. Sein Schiff lag während seiner Südamerika-Reise hier vorübergehend zwischen den vorgelagerten Inselchen und Felsen fest, weil es auf ein Riff gelaufen war. Er soll von der Insel dennoch begeistert gewesen sein. In seinen Tagebüchern kann man heute noch nachlesen, was er erlebt hat .
Auch der normannische Seefahrer Jean de Bethencourt ist hier gewesen. La Graciosa war die erste der kanarischen Inseln, die er im Auftrag Heinrich III von Kastilien für die spanische Krone in Besitz nahm. Nach 8-tägiger Überfahrt landete er im Mai 1492 zunächst vor Alegranza, der nördlichsten Insel des Archipels. Von dort aus muss er einen Blick auf die nördlichen Traumstrände Playa Lambra und Playa de las Conchas gehabt haben, und er nannte das kleine Eiland „Ile gracieuse“, also „anmutige Insel“. Die Schönheit der Insel hielt ihn allerdings nicht auf. Schon bald segelte er weiter nach Lanzarote, um seinen kanarischen Eroberungszug fortzusetzen.
Sonntag, d. 06.05.2018, Playa de la Francesa – Immer noch kein Segelwetter für den Törn nach nach Norden in Sicht. Haben den Hafen noch einmal verlassen und ankern in der Bucht vorm Playa de la Francesa. Das Wasser rund um uns herum ist türkisblau, und wir blicken im Norden auf einen feinsandigen, breiten Strand aus strahlend hellem Ocker. Gegenüber ist Lanzarote. Wir erkennen den Mirador del Rio, den Playa de Famara sowie oben im Hochland die alte Inselhauptstadt Teguise.
Die mächtigen Felsen des Famara-Massiv sind von hier wunderbar zu sehen, denn „El Rio“, die die Inseln trennende Meerenge, ist sehr, sehr schmal. Geologen gehen davon aus, dass die östlichen Kanaren ursprünglich eine einzige Insel bildeten. Sie entstand vor 15 – 20 Millionen Jahren durch vulkanische Eruptionen und war etwa 200 km lang. Mit dem Ende der letzten Eiszeit vor ca. 18.000 Jahren allerdings stieg der Meerespiegel teilweise um bis zu 200 Meter an – und die Rieseninsel versank im Meer. Heute schauen nur noch einige „Gipfel“ aus dem Meer heraus – eben La Graciosa, Lanzarote, Fuerteventura und Lobos. In geologischen Zeitmaßstäben gesehen sind La Graciosa, Lanzarote, Fuerteventura und Lobos also sterbende Inseln. Keiner der Vulkane ist mehr aktiv, stattdessen frisst die Erosion alljährlich Fels um Fels. La Graciosa, anmutig gealtert, wird irgendwann verschwinden. Aber ob die Menschheit das noch erleben wird? Wir jedenfalls nicht.
Montag, d. 07.05.2018, Playa de la Francesa – Jeden Tag dasselbe Spiel. Bis 12 Uhr ist die Bucht ruhig. Dann aber kommt aus dem Hafen von Caleta ein Katamaran mit mindestens 60 Badegästen, und der Strand füllt sich. Ab 16 Uhr aber wird es wieder einsam. Heute liegen drei weitere Segler hier vor Anker. Zur Hauptsaison, wenn die Invasion der Karibik-Segler eintrifft, soll es hier in der Bucht allerdings rappelvoll sein. 30 – 40 Schiffe sind dann hier am Haken, und das muss richtig stressig sein.
Wir wiederum sind mittlerweile tiefenentspannt – der Idealzustand, um sich wieder mal beim Angeln zu versuchen. Ich bereite Jochen ein paar leckere Köder aus Pressfisch, Öl und Gofio zu, einer Getreidezubereitung, die schon die kanarischen Ureinwohner aßen. Unsere Köderbällchen sind bei den Fischlein tatsächlich heissbegehrt. Jochen zieht in kürzester Zeit 4 Sardinen aus dem Teich. Unser Abendbrot ist gesichert! So können wir es aushalten. Madeira und die Azoren können noch ein wenig warten.
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