Juni 2018, Azoren – (BW) Wir frieren, und es ist so nebelig, dass wir kaum 20 Meter weit sehen können. Gelegentlich aber pfeifen stürmische Böen durch die Taleinschnitte des Pico da Esperanca und reißen die Wolkenschwaden mit sich. Dann zeigt sich für wenige Sekunden im gleißenden Sonnenlicht die prächtige Pflanzen- und Farbenwelt der Azoren.
Montag, d. 18. Juni 2018, Velas, Azoren – Diesen Landfall werde ich niemals vergessen! Nach einem ruhigen und sonnigen 30-Stunden-Törn werden wir kurz vor Sao Jorge und der Nachbarinsel Pico von zwei Pottwalen begrüßt. Träge liegen sie im ruhigen Wasser des Atlantiks und scheinen sich zu sonnen; sie tauchen auf, schnaufen, tauchen ab, und verabschieden sich schließlich, indem sie uns ihre mächtige Schwanzflosse zeigen. Ein Gänsehaut-Erlebnis! .
Das soll aber nicht die einzige Willkommensgeste bleiben. Unsere Segelfreunde Dirk und Ulrike, die sich auf der Insel Sao Jorge niedergelassen haben, haben unsere Überfahrt von Santa Maria nach Sao Jorge auf AIS verfolgt – und jetzt stehen sie in der untergehenden Sonne am Ufer des „Canal“ vor ihrem Grundstück und winken uns von den Felsen aus zu. Willkommen auf Sao Jorge!
Das ist eine Begrüßung – schöner geht es nicht! Wir sind glücklich.
Dienstag, d. 19. Juni 2018, Velas – Wie viel Massel wir hatten, merken wir erst heute. Wir haben in unserer Glückssträhne gestern Abend tatsächlich den allerletzten freien Platz in der Marina Velas bekommen. Mittlerweile liegen die Schiffe im Hafen dicht an dicht, und sogar der Ankerplatz davor füllt sich. Vier Schiffe liegen jetzt dort am Haken und warten auf Einlass. Gestern Abend war draußen noch alles leer. Uff!
Montag, d. 25. Juni 2018, Velas – Die letzte Woche krank gewesen. Erst hat es Jochen umgepustet, dann mich. Wir schniefen und husten. Heute erstmals wieder „außer Haus“ gegangen und eine kleine Wanderung auf den Hausberg von Velas gemacht. Die Aussicht ist fantastisch, man sieht sowohl die Insel Pico als auch Faial. Auf einem kleinen Felspfad arbeiten wir uns weiter voran und gelangen alsbald an den Rand eines Kraters. Unter uns tut sich unter den steilen Felswänden eine riesige Bucht auf, das Wasser kristallklar. Ankern kann man hier aber nicht, der Krater ist offensichtlich zu tief. Was für eine Kulisse … Am Ufer selbst sehen wir eine neuerbaute Sportanlage nebst Campingplatz und Schwimmbad, alles vom Feinsten. Velas hat was zu bieten!
Dienstag, d. 26. Juni 2018, Velas – Morgens in der örtlichen Felsbadeanstalt zum Schwimmen gewesen, dann den Ort erkundet. Velas hat sich herausgeputzt seit unserem letzten Besuch vor zwei Jahren. Der aufkommende Tourismus hat Geld in die Kassen gespült, EU Subventionen erledigen das Übrige. Die Einkaufsstraße ist neu gepflastert, und in der Fussgängerzone sind viele neue Geschäfte entstanden. Die meisten davon zielen auf die Sommer-Touristen, die die Insel immer zahlreicher besuchen. Am Hafen ist dafür im letzten Jahr ein neues Fährterminal entstanden.
Velas selbst ist allerdings eher ein Dorf und hat nur knapp 2.000 Einwohner. Auch die Insel insgesamt bringt es auf nicht mehr als 8.500 Menschen. Viele von ihnen sind traditionell immer noch in Ackerbau und Viehzucht unterwegs, wenn auch nicht mehr im Hauptberuf.
Mittwoch, d. 27. Juni 2018, Velas – Heute haben uns Dirk und Ulrike ihren kleinen Buggy „Karlchen“ überlassen, und wir düsen im Vierradantrieb über die rot-braunen Schotterpisten der Insel. Wir staunen: überall, aber auch überall sind Kuhweiden. Es muss auf dieser Insel mehr Rinder als Menschen geben!
Leider ist das Wetter schlecht, und wir bekommen selten einen Blick auf das Meer. Wir fahren im Nebel bis zum äußersten Westzipfel der Insel. Nebel, Nieselregen und Wolken, aber kein Panorama. Flora und Fauna aber können wir erkennen. Sie sind einmalig.
Abends gegoogelt. Auf den Azoren leben tatsächlich mehr Rinder als Menschen. Die meisten Kühe führen allerdings, anders als bei uns, ein glückliches Leben auf einer saftigen Weide, und zu den Milchkühen kommt jeden Abend der Bauer zum Melken hinaus.
Die Geschichte der azorischen Milchkuh beginnt im 15. Jahrhundert und geht auf das Konto des flämischen Malers Jan van Eyck – und der portugiesischen Infantin Isabella.
Isabella, anno 1429 immer noch ledig, aber bereits „überreife“ 32 Jahre alt, sollte dringend verheiratet werden. Van Eyck malte daraufhin im Auftrag des portugiesischen Königshauses ein derartig berückendes Portrait der Königstochter, dass sich der Herzog von Burgund für sie zu interessieren begann. Nach erfolgreichen Verhandlungen kam es schließlich noch im selben Jahr zu einer „Fernheirat“. Isabella von Portugal wurde zur Herzogin von Burgund – und zog kurz darauf mit ihrem Gefolge zu ihrem Mann in das Land der Franken und Flamen. Im Gepäck hatte sie nicht nur Gold und Geschmeide, sondern auch eine Art „Nutzungsberechtigung“ für die damals gerade von den Portugiesen entdeckten Azoren-Inseln.
In Folge dieser Verbindung sind auf den Azoren viele Flamen aus dem Herzogtum Burgund eingewandert. Auf den Inseln fanden sie ähnliche Gegebenheiten wie in der Heimat, und sie begannen sofort sehr erfolgreich mit Ackerbau, Viehzucht und Molkereiwesen. Der flämische Einfluss ist auf Sao Jorge auch heute noch sichtbar. Es gibt auffallend viele hellhäutige, fast rothaarige Insulaner, und der „Quejo Flamengo“ aus Kuhmilch und Lab ist weit über die Azoren hinaus bekannt und beliebt.
Donnerstag, d. 28. Juni, Velas – Wieder mit Karlchen unterwegs. Wir überqueren den mittleren Teil der Insel und fahren auf den Pico da Esperanca. Von hier hat man bei sonnigem Wetter angeblich eine tollen Rundumblick und sieht die Azoreninseln Terceira, Graciosa, Pico und Faial. Heute aber ist es so nebelig, dass wir kaum 20 Meter weit blicken können. Wir frieren fürchterlich. Gelegentlich pfeifen stürmische Böen durch die Taleinschnitte und reißen die Wolkenschwaden mit sich. Dann zeigt sich für wenige Sekunden im gleißenden Sonnenlicht die prächtige Pflanzen- und Farbenwelt der Azoren. Und überall …sehen wir Kühe und Kälber.
Freitag, d. 29. Juni, Velas – Das Wetter ist immer noch azorisch. Es weht eine steife Brise aus Nord, und für den Buggy ist es uns einfach zu kalt und zu regnerisch. Wir nehmen uns ein etwas komfortableres Gefährt und düsen mit einem Mietwagen über die Insel.
Zuerst fahren wir an den östlichen Zipfel der Insel. In Topo ist nicht viel los, obwohl der Ort als „Keimzelle“ der Besiedlung durch die Flamen gilt. Im dortigen Felsschwimmbad unterhalten wir uns mit einer amerikanischen Exil-Azorianerin. Sie ist (wie ich sofort registriere) rothaarig und hellhäutig, und kommt mit ihrer Familie im Sommer jedes Jahr aus den USA zurück in ihre alte Heimat Topo. Eine flämisch-portugiesisch-amerikanische Weltbürgerin!
Samstag, d. 30. Juni, Velas – Wir wollen die Fajas erkunden, eine besondere Attraktion der Insel. Die mehr als 40 Fajas entstanden durch Felsabrutsche an den Steilküsten und sind teilweise nur zu Fuß zu erreichen. Unterhalb der Steilwände entwickelten sich in vielen hundert Jahren flache Landzungen, auf denen sich humoser Boden sammelte. Früher wurde in den Fajas deshalb intensiv Landwirtschaft betrieben. Seit einem schweren Erdbeben 1980 sind die meisten aber nicht mehr bewohnt und werden auch nicht mehr bewirtschaftet.
Uns beeindruckt insbesondere die Faja dos Cubres mit ihrer kristallklaren Lagune. Die wunderschönen Häuschen aus Lavastein dienen wohl heute größtenteils als Wochenendhäuser. Sie sind nur im Sommer bewohnt. Aber auch die Faja do Ouvidor hat es in sich. Es gibt dort mehrere tolle Naturschwimmbecken in den Felsen, die nur nach abenteuerlicher Klettertour zu erreichen sind. Ein echtes Erlebnis!
Abends treffen uns mit Ulrike und Dirk in der Faja das Almas zum Essen. Sie kennen dort ein uriges kleines Restaurant über den Klippen. Der Wirt und die Wirtin begrüßen sie herzlich und machen sich nach unserer Bestellung sofort an die Arbeit. Der Wein und das Essen sind köstlich. Insbesondere die Steaks sind ein Genuss. Man schmeckt, dass sie von glücklichen Rindern stammen – und dass der Grillmeister wirklich ein Meister seines Fachs ist!
Ulrike und Dirk erzählen uns von ihrem neuen Leben auf der Insel. Sie sind hier gut aufgenommen worden, haben ein tolles Grundstück gefunden und bauen sich jetzt hier ihr Traumhaus direkt an der Lava-Küste in Urzelina.
Sind sie „integriert“? Jein. Kontakte haben sie bisher vor allem zu anderen Neu-Azorianern aus der Schweiz, Deutschland oder den Niederlanden. Die Sprache ist ein Problem, denn die Sao-Jorgianer sprechen einen eigenartigen Inseldialekt, der auch für Portugiesisch-Profis eine Herausforderung ist. Bis man hier mithalten kann, vergeht viel Zeit, auch wenn man Unterricht nimmt. Bereut haben sie ihren Entschluss aber bisher nicht, sondern sagen nach wie vor: Alles richtig gemacht!
Sonntag, d. 30 Juni, Velas – Heute mit dem Mietwagen einen letzten Insel-Ausflug zum Ponta de Queimada und zur Faja de Santo Amaro unternommen. Auch hier gibt es überall kleine Badestellen, dank der EU gut ausgestattet mit Duschen und Toilettenhäuschen.
Wieder begeben wir uns auf eine kleine Klettertour durch die gewaltigen Steinbrocken hinab zu den Pools – aber das Wetter ist immer noch schlecht und lädt nicht zum Baden ein.
Montag, d. 1. Juli, Velas – Wir bereiten uns langsam auf die Weiterreise vor. Ein Großeinkauf steht bevor, und die Waschmaschine läuft auf Hochtouren. Welch ein Glück, dass es im Hafen einen Trockner gibt, denn es regnet immer noch gelegentlich. Übermorgen soll es losgehen. Wir wollen versuchen, in Graciosa einen Platz im Hafen zu bekommen. Vielleicht haben wir Glück! Die Schiffe auf der Warteposition am Anker werden sich freuen: Endlich, endlich kann wieder jemand nachrücken in die Marina von Velas …
– *Vorherigen Törnbericht lesen* – Nächsten Törnbericht lesen –
M | D | M | D | F | S | S |
---|---|---|---|---|---|---|
1 | ||||||
2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 |
9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 |
16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 | 22 |
23 | 24 | 25 | 26 | 27 | 28 | 29 |
30 | 31 |