Juni 2018, Nordatlantik – (TL). Der Mann setzt sich mit ernster Miene vor das altmodische Funkgerät und klemmt sich einen schwarzen Telefonhörer mit Hör- und Sprechmuschel ans Ohr. Er schaltet das Funkgerät an, nimmt das Pactor-Modem in Betrieb und pingt nacheinander alle erreichbaren Funkstationen an. Aus dem Lautsprecher knarzt, zischt und rauscht es ::::
Donnerstag, d. 24. Mai 2018, Calheta – Puuh. Jetzt erstmal entspannen. Der Mann und die Frau sind heute mit einem Mietwagen auf der Insel unterwegs, und Winnie und ich können uns ein wenig erholen. Die letzten Tage waren hart.
Die Frau hatte sehr schlechte Laune, weil auf unserem letzten Törn soviel zu Bruch gegangen ist. Pumpen verstopft – das sei nichts Schlimmes, hat der Mann gesagt. Das seien alles nur Kleinigkeiten, die sich ganz, ganz leicht reparieren ließen. Und er hat sich auch gleich an die Arbeit gemacht und die Trinkwasser-Pumpe gereinigt und die Bodenbretter hochgenommen und eine Koje abgebaut, um meine Trimm-Pumpen zu reparieren. Aber dann hat die Frau noch schlechtere Laune bekommen. Jetzt bleiben die Trimm-Pumpen erstmal außer Dienst, die Reparatur wurde auf später verschoben.
Als die beiden von ihrem Insel-Ausflug zurück kamen, war die Frau aber sehr gut gelaunt. Madeira muss schön sein!
Freitag, d. 25. Mai 2018, Calheta – Ich und Winnie the Pilot sind schon wieder allein. Jochen und Barbara sind losgefahren, um neue Gasflaschen für meinen Kocher zu besorgen, und die gibt es nur in Funchal, der Inselhauptstadt. Sie befürchten, dass ihnen sonst auf dem nächsten Törn zu den Azoren das Gas ausgehen wird. Nächster Törn?? Das klingt gut, meint Winnie. Es geht also bald weiter!!
Sonntag, d. 27. Mai 2018, Calheta – Der Mann und die Frau segeln schon lange zusammen, und sie sprechen abends oft über die alten Zeiten. Wie schwierig die Navigation war, nur mit Papierkarten und Peilkompass. Wie wenig man über das Wetter wusste. Als man nur einmal täglich – abends – vor dem Funkempfänger saß, um die Stationsmeldungen von KIEL RADIO mitzuschreiben und die Vorhersage anzuhören – wenn man sie denn vor lauter Rauschen verstehen konnte.
Wetter! Nur einmal täglich über Funk? Der Mann meint, das sei auch heute noch ausreichend. Man muss das Wetter eh nehmen wie es kommt, sagt er, und auch Winnie the Pilot stimmt ihm zu: „TinLizzy und ich segeln ALLES, solange der Ozean tief genug ist!“
Wir haben deshalb auch auf langen Atlantik-Törns kein Satellitentelefon und kein Internet an Bord. Schließlich ist Jochen Funker. Jeden Abend setzt er sich mit ernster Miene vor sein Kurzwellen-Funkgerät und klemmt sich einen riesigen schwarzen Telefonhörer mit Hör- und Sprechmuschel ans Ohr. Um den Wetterbericht zu empfangen, schaltet er das Funkgerät an, nimmt ein Modem (!) namens Pactor in Betrieb und pingt dann nacheinander, meist erfolglos, alle möglichen Funkstationen der nördlichen Hemisphäre an. Aus dem Lautsprecher knarzt, zischt und rauscht es dazu in verschiedensten Dur- und Moll-Tonarten, und der Mann schimpft: „Wo ist dieses blöde Propagation Window?!“, „Haben die Torfköppe nur ein Modem am Laufen“, oder „Verdammter Mist. 12.580 antwortet wieder nicht!“
Den Wetterbericht, ein klitzekleines Daten-Paket für sein Wetterprogramm, kann Jochen meist erst nach mindestens halbstündigem Dauerfluchen herunterladen. Manchmal allerdings auch nicht – so wie auf dem letzten Törn von La Graciosa bis hierher.
Die Frau findet das nicht gut. Sie findet, und da stimme ich ihr zu, dass man auf einem modernen Schiff durchaus das Satelliten-Netz zur Datenübertragung und eine moderne Software zum Wetter-Routing nutzen könne. Sie hat darauf bestanden, dass wir ein Iridium-Telefon im Internet bestellen. Sie segele nicht mehr ohne, Punkt, hat sie gesagt. Das Ding wird jetzt per DHL zum nächsten Hafen auf die Azoren geliefert.
Winnie the Pilot ist ganz blass geworden. Satelliten-Telefon, Wetter-Routing, also Törn-Feinplanung, je nach aktuellem Wetterbericht? Winnie befürchtet, dass er jetzt endgültig durch den elektronischen Autopiloten ersetzt wird.
Montag, d. 28.Mai 2018, Calheta – Ich glaube, Winnie muss sich keine Sorgen machen. Jochen ist altmodisch, er hat ein gutes Herz, und er MAG Winnie. Morgen soll es losgehen nach Santa Maria, die südlichste der Azoren-Inseln. Der Mann hat schon alles vorbereitet, und auch Winnies Steuerleinen sind wieder angeschlagen.
Dienstag, d. 29.Mai, Nordatlantik – Wir segeln! Es gibt leichten bis mäßigen Wind aus Nord—Nord-Ost, und ich rausche unter Großsegel, Genua und Kutter hoch am Wind nur so davon. Geht auch ohne Trimm-Pumpen, wer sagt´s denn ! Alle sind glücklich, auch Winnie the Pilot. Die Frau macht leckeres Essen, es gibt portugiesische Bolos, Kartoffeln und Bacalao. Der Mann macht den Abwasch.
Danach klemmt Jochen sich hinter sein Funkgerät, und es gelingt ihm sofort, einen Wetterbericht für sein Wetterprogramm herunterzuladen. Wir nähern uns dem Hochdruckkern. Der Wind wird nachlassen, wir werden morgen mit dem Motor fahren müssen.
Um 21:00 übernimmt Barbara die erste Nachtwache. Bis morgens um 2:00 Uhr bleibt uns der Wind wohlgesonnen. Ich gleite mit allen Segeln durch die helle Mondnacht.
Mittwoch, d. 30.Mai, Nordatlantik – Als der Mann um 2:00 Uhr aus der Koje kommt, weht es nur noch mit 1 Beaufort aus NO, und ich schleiche mit 3 Knoten. Der Wetterbericht hatte also Recht. Jochen stellt die Maschine an. Ich bin jetzt Motor-Seglerin, und Winnie the Pilot hat Pause.
Als Barbara morgens um 7:00 das Ruder wieder übernimmt, bemerken die beiden, dass sich ein treibendes Fischernetz im Ruderblatt verfangen hat. Wir stoppen die Fahrt, das Netz sinkt ab, und irgendwann sind wir wieder frei. Jetzt aber, wo wir fast still stehen, fällt den beiden auf, dass jede Menge portugiesische Galeeren im Wasser schwimmen. All 15 Meter eine, wunderschön zwar, aber hochgiftig. Ganz schön gruselig.
Wenig später aber kommen ein paar Delphine vorbei. Jochen und Barbara freuen sich fürchterlich – aber ich kann mich nur wundern. Was soll an Delphinen besonders sein? Die gibt es überall und immer wieder! Glücklicherweise hat die Frau dazugelernt. Sie lässt den Fotoapparat mit dem Teleobjektiv im Schrank.
Ansonsten scheint die Sonne, das Meer ist blau, und der Wind weht lau.
Donnerstag, d. 31.Mai, Nordatlantik – Wir haben den Hochdruckkern durchquert und segeln wieder. Der Mann und die Frau wollen offensichtlich Wale beobachten und halten die ganze Zeit Ausschau. Die beiden haben eine eigenartige Fixierung auf Dinge, die oben aus dem Wasser herausschauen!
Dabei wäre unter der Wasseroberfläche viel mehr zu bestaunen. Wir haben gerade das Madeira-Plateau verlassen, und die Wassertiefe ist von 3000 m auf 5000m gefallen. Unter uns ist tiefstes, tiefstes Blau. Wir passieren zahlreiche Unterwasser-Berge, allerdings reicht keiner von ihnen mehr als 2000m unter die Wasseroberfläche. Der Mann und die Frau können sie nicht sehen.
Dennoch gibt es sie! Hier, mitten im Atlantik in der Nähe der Azoren, entstand unter Wasser ein riesiges Gebirge , das sich von Island über die Azoren bis zu den Kapverden zieht. Es türmt sich an manchen Stellen mehrere tausend Meter hoch auf, weil hier die großen Kontinentalplatten auseinanderbrechen und voneinander weg driften. In den Risskanten spuckt die Erde Lava, und es wachsen immer wieder neue Berge im Ozeanboden nach. Viele davon reichen mittlerweile bis kurz unter die Wasseroberfläche. Faszinierend!
Die azorischen Inseln, auf die wir gerade zuhalten, liegen auf unterschiedlichen Kontinentalplatten. Während Flores und Corvo zur amerikanischen Platte gehören und nach Westen driften, zieht es die anderen Inseln nach Osten! Die Inseln liegen auf einer eigenen, azorischen Mikroplatte. Wir haben Afrika verlassen – und kommen jetzt nach Europa. Hier an Bord haben sie das glatt verschlafen – aber man kann sich das alles im Internet anschauen…
Ansonsten ist alles wie immer. Um 21:00 übernimmt die Frau das Ruder, und der Mann geht in die Koje. An die aufregenden Gegebenheiten unter der Meeresoberfläche verschwendet er keinen Gedanken, er schläft sofort ein. Erst um 2:00 Uhr kommt er wieder aus seiner Koje.
Freitag, d. 1.6.2018, Nordatlantik, Santa Maria, Azoren – Wir nähern uns Santa Maria. Um 7:00 Uhr, als die Frau wieder auf- und der Mann abtaucht, sind es nur noch 80 Meilen bis zum Ziel. Wir könnten also heute noch ankommen, wenn wir alles geben!
Santa Maria, die südlichste der Azoren-Inseln, ist etwas ganz Besonderes. Die Insel besteht aus Sedimentgestein, und ist entstanden, weil eine unterirdische Magmakammer sie über den Meeresspiegel hob. Hier werden Jochen und Barbara – wie schon auf La Graciosa – auf dem Meeresboden spazierengehen können!
Aber erst muss Jochen wieder wach werden, denn ohne ihn können wir den Genacker nicht setzen! Um 10 Uhr hat er ausgeschlafen und das Ding wird ausgepackt. Der Wind weht mit 3 Windstärken aus Ost-Süd-Ost, und ich gleite auf einem tiefem Raumschotkurs mit 6 Knoten durch die See. Santa Maria, wir sind bald da!
Das wird auch Zeit. Der Frau wird langsam aber sicher langweilig. An Bord ist nichts zu tun. Ich segle, Winnie steuert. Alle Bücher, die die Frau dabei hatte, hat sie des nachts ausgelesen. Sie hat gebacken, gekocht und gewaschen, und sie hat schon angefangen, das Logbuch zu bemalen. Wo soll das hinführen ?!
Die letzten Meilen fahre ich deshalb unter Motor. Als wir in den Hafen einlaufen, ist es wieder mal dunkel. Glücklicherweise sind diesmal sowohl der Hafen als auch die Hafeneinfahrt gut beleuchtet. Um 23 Uhr sind die Leinen fest.
Der Mann und die Frau nehmen sich in den Arm und freuen sich. War ein toller Törn!
Das finden Winnie und ich auch! Jetzt erstmal gucken, was sich hier so tut. Haben im Hafen schon die Milagro und die Pura Vida entdeckt. Außerdem soll die Wildeman demnächst hier ankommen. Wir werden also viel Spaß haben ….
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