Mai 2016, 33°27´N 015°26´ W, Nordatlantik: 3:00 nachts, ich liege in meiner Koje. Es wird dunkel, es geht gerade der Mond unter, und eigentlich beginnt jetzt meine zweite Nachtwache. Draußen wehen 6 Windstärken, und TinLizzy surft auf Raumschotkurs Richtung Madeira. Ich habe vom Geschaukel mittlerweile am ganzen Körper Muskelkater (!!!) und konnte bisher überhaupt nicht schlafen. Vor Erschöpfung komme ich kaum in meine Segelkluft. Warum zum Teufel segeln wir nicht lieber wieder auf der Ostsee? Meine Stimmung ist im Keller! :::::
Lagos, 12. Mai – Seit mehr als einer Woche warten wir jetzt auf ein Wetterfenster für den 500 sm Trip Richtung Madeira. Zunächst waren wir in Vilamoura, aber diese Marina ist uns einfach zu „schicki-micki“, um sich dort länger aufzuhalten. Seit 5 Tagen sind wir in Lagos. Dort gibt es trotz des touristischem Umfelds eine echte, gewachsene Altstadt mit vielen alten Steinen, netten Gassen und kleinen Läden; außerdem eine tolle Markthalle, in der man sehr günstig leckeren frischen Fisch und gutes Fleisch kaufen kann.Wir verproviantieren uns ausgiebig für unseren großen Törn, kochen das eine oder andere Gericht vor und schauen uns – sofern es das Wetter zulässt – das Umland an.
Eine eigenartige Großwetterlage hält uns in Lagos fest: Ein kräftiges Island-Tief hat die langanhaltende Hochdruckbrücke, die von den Azoren bis nach Skandinavien reichte, von der Mitte aus zerschreddert. Jetzt hält sich zwar das Skandinavienhoch – und beschert Familie und Freunden in Deutschland allerschönstes Maiwetter – aber unser Azorenhoch, um diese Jahreszeit noch instabil – ist völlig zerzaust. Jede Menge Tiefdruckstörungen sausten von Norden her herum und bogen dann nach Süden ab. Sogar in Nordafrika hat es geregnet. Morgen allerdings ist Schluss damit! Wir haben endlich unser langersehntes „Wetterfenster“….
Das bedeutet: Leinen los. Unser erstes Ziel ist Porto Santo, eine Insel kurz vor Madeira. Wir waren schon einmal da, die Insel ist eine unserer „Trauminseln“. Die Prognose für die nächsten Tage ist bei allen Wetterdiensten gut. Mindestens 4 Tage lang nördliche Winde, und das bei mäßigen Windstärken ohne Regen. Einziges Problem: Morgen ist Freitag, der dreizehnte.
Lagos, 13. Mai – Wir wagen es. Gegen die Unglückszahl „13“ bin ich seit meinem 13. Geburtstag immun, denn ich besaß und trug von da an für viele Jahre ein Halskettchen mit gleich lautendem Anhänger.
Gegen 11 Uhr laufen wir aus Lagos aus. Wir haben den bestmöglichen Wind: Es bläst mit 3-5 Windstärken aus NNW, später Nord. Damit kommen wir auf einem schnellen Halbwindkurs durch die Ausläufer des Verkehrstrennungsgebietes vor der portugiesischen SW-Küste. Wir rauschen nur so dahin ….
Leider aber steht aus den vergangenen Tagen noch eine unangenehme Dünung, und obwohl wir mit 8 bis 9 Knoten durch die Wellen pflügen, ist es kein angenehmes Segeln. Als ich gegen Mittag nach unten gehe, um uns etwas zu Essen zu machen, wird mir schon nach kurzer Zeit flau im Magen. Ich hole statt der vorbereiteten Mahlzeit lieber ein paar Tuc-Kekse und Bananen hervor. Die nächsten Stunden muss Jochen alleine segeln, denn ich liege meist in der Kajüte auf der Sitzbank und bemühe mich, mit geschlossenen Augen das Wellenreiten zu genießen. Zum Äußersten, dem „reverse eating“, kommt es aber nicht!
Nach ein paar Stunden bin ich durch. Ich kann die Ruderwache übernehmen, und das ist gut so, denn jetzt muss sich Jochen ausruhen. Auch ihm ist jetzt flau, und das ist nach sieben Stunden allein am Ruder kein Wunder. Mittlerweile hat er zwar ordentlich gerefft, dennoch sausen wir weiter durch die wilde See.
Jetzt schlage ich mich einsam durch gegen Wind und Wellen, während Jochen den Ruheplatz auf der Kajütbank einnimmt. Wie gut, dass wir uns abwechseln können!
Wir segeln und segeln – und bis auf gelegentliche Begegnungen mit Kreuzfahrtschiffen, Tankern oder anderen Lastkähnen passiert: nix. In der Regel passen die Großen ihre Kurse an, nur einmal müssen wir Funkkontakt aufnehmen, um uns über eine Kursänderug zu „einigen“.
Um zwölf Uhr – der Mond steht noch hoch am Himmel – übernimmt wieder Jochen das Ruder. Ich haue mich in die Koje und schlafe wie ein Stein.
35°29´N 011°08´ W, Nordatlantik, 14. Mai – Nach einer ruhigen Nacht dreht morgens gegen 10:00 Uhr der Wind auf NNO und wird etwas milder. Wir segeln jetzt gemütlich auf einem kommoden Raumschotkurs und reffen wieder aus. Es geht uns gut, die Dünung ist fast weg, die Sonne scheint, und wir lesen, hören Musik oder: essen! Nach dem gestrigen Diät-Tag holen wir jetzt die guten Sachen aus dem Kühlschrank. Hhmm, lecker !!
Per Funk holen und schicken wir ein paar Emails, unter anderem bekommen wir von Sohn Felix Wetterinformationen. Alles im grünen Bereich!
Später sichten wir schwimmende Paletten. Erst nach einer „Nah-Sichtung“ wundern wir uns, dass die „Paletten“ Beine haben und paddeln. Es sind dicke, fette Seeschildkröten! Leider, leider sind wir mit dem Fotoapparat nicht schnell genug …
Alles ist gut, doch was mich ärgert, ist unser Bordklo! Nicht nur, dass es aus lauter nickeligen Kleinteilen besteht und sich schlecht säubern lässt. Es ist auch ziemlich wackelig. Die Schrauben, mit denen der Sitz am Klosett befestigt ist, halten nicht. Die kleinen Sch..dinger lösen sich spätestens 2 Tage nach jeder „Reparatur“. Dem Seegang auf dem Atlantik ist diese Konstruktion nicht gewachsen, und ich habe dauernd die Befürchtung, abzustürzen. Ich schimpfe: Das müssen Männer konstruiert haben, die noch nie ein Klo geputzt haben, und zwar ausschließlich nach dem Prinzip der Kosten- und Gewichtsoptimierung. Mann, bin ich sauer!
33°57´N 014°26´ W, Nordatlantik, 14. Mai – Sohn Felix schickt den nächsten Wetterbericht. „Beeilt Euch, spätestens ab übermorgen wird´s happig. 20 – 25 Knoten aus NNO auf dem letzten Drittel vor Madeira.“
Im letzten Drittel sind wir schon jetzt, und hier wartet außer viel Wind noch eine andere Attraktion. Wir schauen gespannt nach Süden, denn dort muss er sein: der Unterwasserberg. Während der Ozean noch eben über 4000 Meter tief war, steigt der Meeresboden jetzt steil an. Der Gipfel des „Monte Seine“ liegt nur 80 Meter unter der Oberfläche…
Wir sehen davon nichts. Allerdings treffen wir am frühen Abend zwei große Fischerboote, die riesige Netze hinter sich herziehen und immer im Kreis an der 100m Tiefenlinie entlang fahren. Sie bewegen sich genau auf unserem Kurs. Per Funk fragen wir an, wieviel Abstand wir halten sollen. „Zwei Meilen“, ist die Antwort. Wir müssen zwei Haken schlagen, um weit genug weg zu kommen. Das ist – weil wir wegen unseres Kutterstags jedesmal die Genua einrollen und den Bullenstander lösen müssen – viel Arbeit.
Wir sind gerade fertig, da legt der Wind zu: 5-6 Windstärken aus NNO bringen uns so in Wallung, dass wir ein zweites Reff in Groß und Genua setzen. Wir sausen dennoch weiter mit 7 Knoten in Richtung Madeira.
33°27´N 015°26´ W, Nordatlantik, 16. Mai – Es ist 3:00, ich liege in meiner Koje. Es wird dunkel, denn es geht gerade der Mond unter, und eigentlich beginnt jetzt meine zweite Nachtwache. Draußen wehen mittlerweile satte 6 Windstärken, und TinLizzy surft auf Raumschotkurs Richtung Madeira. Ich habe vom unablässigen Geschaukel mittlerweile am ganzen Körper Muskelkater (!!!) und konnte bisher in dieser Nacht überhaupt nicht schlafen. Vor Erschöpfung komme ich kaum in meine Segelkluft. Warum zum Teufel segeln wir nicht lieber auf der Ostsee? Wer ist eigentlich auf diese blöde Idee mit dem Atlantik gekommen ?? Meine Stimmung ist im Keller !!!
Welch ein Glück, dass mein Mann ein Kavalier alter Schule ist. Er begreift sofort, dass ich unmöglich aufstehen kann – und übernimmt klaglos eine zweite Nachtschicht. Vorher bringt er mir ein Glas Wasser und eine Schmerztablette gegen den Muskelkater. Tatsächlich, das wirkt. Ich schlafe ein …. und wache kurz vor 6 Uhr gut erholt wieder auf.
Als ich um 6 Uhr wieder ins Cockpit komme, wird es gerade hell. Mein Mann sieht sehr müde aus. Ich wiederum muss fit wirken, denn er stimmt sofort zu, als ich ihn in die Koje schicke. Es weht immer noch ein starker Wind. Obwohl wir immer noch mit 2 Reffs fahren, sausen wir durchs Wasser mit bis zu 9 Knoten die Wellen hinunter auf Porto Santo zu.
Erst gegen 8:00 lässt der Wind nach, und ich kann die Genua wieder ausreffen. Davon wird Jochen leider wach – denn ihm entgeht, auch wenn er „schläft“, auf TinLizzy nichts! Er kommt ins Cockpit, und wir machen uns das letzte Frühstück des Törns: Cornflakes mit Milch und Bananen.
Jetzt schippern wir in „slow motion“ gen Porto Santo. Um weiter auszureffen, sind wir zu müde. Außerdem wissen wir, dass uns hinter der Insel eine kräftige Wind-Düse erwarten wird. Gegen 11:00 ist das östliche Kap Porto Santos, die Ilheu de Cima, gerundet. Per Funk melde ich uns im Hafen an. Sie haben eine Box für uns frei! Welch ein Glück das ist, wird uns erst hinterher klar.
Porto Santo, 17. Mai – Nach uns sind noch eine ganze Reihe anderer Yachten in Porto Santo eingelaufen. Mittlerweile ist der kleine Hafen voll, und einige der Neuankömmlinge liegen schon im Päckchen längsseits an anderen Schiffen. Immer wenn ein Schiff einläuft, ist das wie „Hafenkino“ – das scheint überall auf der Welt so zu sein. Alle gucken, und glücklicherweise sind auch immer Helfer zur Hand, die die Leinen annehmen.
Hier in Porto Santo liegen Yachten aus aller Herren Länder. Franzosen, Engländer, Schweden, Griechen …. und auch zwei andere Yachten aus Deutschland. Teilweise sind sie schon lange hier, denn die Hafengebühren sind erschwinglich, und die Insel ist wunderschön. Bei unseren Nachbarn – Franzosen – wachsen in Pflanzkübeln an Bord Tomaten, Estragon und Rosmarin!
Auch wir werden hier eine Weile bleiben. Die Insel ist zwar karg, und Jochen erinnert sie ein wenig an Island. Am Strand hingegen hingegen fühlt man sich fast wie in der Karibik, und der Hauptort der Insel – Baleira – ist richtig kuschelig. Wir haben uns ein „Quat“ gemietet, und werden morgen mit unserem 4-rädrigen Motorrad eine Inselrundfahrt machen.
Unser Bordklo ist mittlerweile auch repariert. Mit 6 Zahnstochern, etwas Holzleim, zwei neuen Spaxschrauben und etwas Geduld und Spucke haben wir die Scharniere so versetzt, dass sie sich nicht mehr verdrehen und lockern können.
Das Leben ist wundervoll!
– Vorherigen Törnbericht lesen – Nächsten Törnbericht lesen –
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