September 2016, Nordatlantik – Um 11 Uhr erwischt sie uns, die „Düse“. Mit bis zu 35 Knoten, das sind 8 Windstärken, haut der Wind in unser Vorsegel. TinLizzy saust, saust und saust. Wir rauschen teilweise zweistellig durch die See, und wenn die blöde Welle nicht wäre, würden wir das trotz unserer Müdigkeit richtig genießen! Leider aber HABEN wir eine ganz blöde Welle. :::::
Dienstag, d. 27.9., Nordatlantik – Mist! Gemütlich ist hier gar nichts !! Gegen Mitternacht , es sind noch über 90 nm bis La Palma, brist es auf. Wir haben teilweise 6 Windstärken mit Böen bis zu 26 Knoten und reffen die Genua kräftig runter. Deshalb schiebt uns der Wind nur noch mit 6 Knoten über eine kräftige 2m-Welle. Unangenehm, sehr unangenehm – doch unsicher fühle ich mich dennoch nicht….
Als selbsternannte „Sicherheitsbeauftragte“ 😉 habe ich nach den letzten Segler-Horror-Erzählungen aus Madeira unsere Sicherheitsvorkehrungen deutlich verstärkt. Mein Mann nimmt es mit Gelassenheit:
Wir haben im Cockpit vier Punkte zum Einpieken. In jeder Ecke können wir uns mit unserer Rettungsweste bzw. deren Life-Belts „festmachen“. Das führt jedoch dazu, dass man sich jedes Mal „ableinen“ muss, wenn man vom Ruder unter den Schutz der Sprayhood will oder umgekehrt – und sich dann eben oft NICHT einpiekt, weil es zu nervig ist.
Jetzt haben wir zwischen allen vier Punkten einen Tampen gespannt. Wir können uns an der Leine einpieken und daran – wie ein Hofköter an der Laufleine – auf und ab marschieren. Jochen ist damit nicht wirklich glücklich, denn er befürchtet Schäden am Lack. Er zieht aber mit. Also: Bitte anschnallen! Wellenreiten ist angesagt!
Gegen 1:00 wird es hektisch. Während meiner Ruderwache entdecke im am Horizont merkwürdige Lichter, die ich nicht deuten kann. Ich sehe ein rotes Licht, blinkend, daneben mehre weiße Lichter, ebenfalls blinkend. Wegen der Welle und des sich daraus ergebenden Geschaukels kann ich mit dem Fernglas kaum etwas erkennen, und überdies verheddere ich mich, während ich mit dem Glas hantiere, dauernd in meinem Life-Belt. Zu blöd. Ich kann mir schon denken, was mein Mann jetzt sagen würde, könnte er dies sehen….
Das „rote Licht“ ist eindeutig ein Schiff, aber man sieht es wegen der Wellen immer nur ganz kurz. Auf AIS ist nichts zu sehen, und auf Radar ist auch nichts zu erkennen, denn wir müssen den Störfilter so hochdrehen, dass kaum noch was durchkommt….
Das Ganze kommt mir komisch vor. Ich wecke Jochen, und wir funken per UKW ein „unknown vessel“ an, welches offensichtlich immer näher kommt. Die Peilung steht, und das Licht wird immer kräftiger. Wir rufen mehrmals, doch wir bekommen und bekommen keine Antwort. Was tun? Eigentlich wären wir Kurshalter, denn wir laufen auf Backbord-Bug. Der andere müsste, da wir sein rotes Licht sehen, sehr hoch am Wind auf Steuerbord-Bug laufen. Doch halt – sieht man jetzt auch noch ein weißes Licht? Wir können es einfach nicht erkennen! Ist das etwa ein Fischer – hier, mitten auf dem Atlantik???
Jochen beschließt, die – immer noch ausgebaumte – Genua wegzureffen und unter Motor kräftig auszuweichen. Und tatsächlich: Jetzt wandern mit dem blinkenden roten Licht auch die blinkenden weißen Lichter aus. Wir haben offenbar einen Trawler mit riesigen Schleppnetzen getroffen, der inkognito unterwegs ist und weder gesehen noch gehört werden möchte. Unfassbar!
Gegen 2:00 erwischt uns das Segler-Pech erneut. Jochen hat gerade wieder die Wache übernommen, da steigt unser Autopilot aus. Es piept, piept und piept – und dann geht nichts mehr.“Rudder response failure“, vermeldet das Display. Es gelingt uns nicht, das Ding wieder flott zu machen. Jetzt müssen wir segeln wie in alten Tagen. Handsteuern ist angesagt, denn eine mechanische Windsteueranlage haben wir nicht an Bord. Können wir das noch?
4:00 Uhr. Mann, ist das anstrengend. Es ist dunkelste Nacht, kein Fixpunkt an oder über dem Horizont zu sehen, und wir steuern abwechselnd per Hand, nur nach Kompass. Das ist für mich schwierig, denn ich neige, wenn ich mich erschrecke, manchmal zu übertriebenen Steuerbewegungen. Dann gerät der Kahn aus dem Kurs, was wiederum im Dunkeln zunächst unbemerkt bleibt, da der elektronische Kompass zu träge anzeigt und der andere wegen der Welle zu sehr „wackelt“.
Ich bemühe mich deshalb, am Steuer die Seebären-Haltung einzunehmen, die ich von Jochen kenne. Breitbeinig, mit festem Stand leicht federnd zurückgelehnt, das Brustbein vorgestreckt, Hüft- und Bauchmuskeln angespannt, mit beiden Händen und breitem Kreuz das Steuerrad fest haltend, beim Lenken nicht umgreifend. Tatsächlich. Das sieht bei der Capitana wahrscheinlich saudumm aus, funktioniert aber ansonsten gut. Der Capitano wäre stolz auf mich, würde er nicht schlafen ….
Meine zwei Stunden schaffe ich trotzdem nicht, es ist einfach zu anstrengend. Die Welle nimmt immer weiter zu und ich habe schon jetzt Schwielen an den Händen. Die Kraft in den Oberarmen schwindet mit jeder Ruderbewegung. Ich werde morgen Muskelkater haben!
Wir wechseln uns im 1,5 – 2,5 Stunden-Takt ab, und gegen 10:00 Uhr ist die nördliche Spitze von La Palma querab. TinLizzy ist fast am Ziel – doch das dicke Ende kommt jetzt noch, das wissen wir wohl:
Auf den Kanaren kommt es wegen der hohen Berge zu unschönen Kap-Effekten. In der Nähe der Inseln, in den so genannten „Acceleration Zones“, beschleunigt sich der Wind. Statt 6 stehen dann schon mal glatte 8 Windstärken auf der Anzeige. Wir bereiten uns vor, reffen die Genua fast ganz weg und harren der Dinge, die da kommen.
Um 11 Uhr erwischt sie uns, die „Düse“. Mit bis zu 35 Knoten, das sind 8 Windstärken, haut der Wind in unser Vorsegel. TinLizzy saust, saust und saust. Wir rauschen teilweise zweistellig durch die See, und wenn die blöde Welle nicht wäre, würden wir das trotz unserer Müdigkeit richtig genießen!
Leider aber HABEN wir eine blöde Welle. Sie kommt aus Nord und ist dort, wo sie sich mit der Windsee überlagert, teilweise 4 Meter hoch. Dummerweise steht auch noch ein Tidenstrom gegenan, so dass sich einige Wellen brechen und TinLizzy immer mal wieder aus dem Kurs schieben. Anstrengend, sehr anstrengend ist diese Steuerei, und wir sind glücklich, dass wir ein Doppelruder haben und unser Schiff auch bei großer Schieflage nicht aus dem Ruder läuft.
Gegen 11:30 Uhr wird es uns dennoch ein bisschen zu bunt. Ich – in meiner Freiwache bisher brav im Cockpit eingepiekt geblieben – gehe nach unten, um im Revierführer etwas über die Tidenströme rund La Palma zu erfahren. Wann dreht der Strom? Wo ist er am stärksten? Wo wird er schwächer? Sollten wir weiter raus? Oder eher mehr Richtung Küste?
Ich lasse mich am Kajüt-Tisch nieder und lese nach – da höre ich von Jochen ein lautes: „Achtung! Welle!!“ Ich versuche, mich abzustützen, aber ich habe keine Chance. Die Welle bringt unser Schiff in eine derart heftige Schaukel-Bewegung, dass ich mich auf dem Sitz nicht mehr halten kann. Ich greife nach dem Halte-Bügel mittschiffs – doch ich kann die Bewegung nicht wirklich stoppen. Schließlich lande ich in Lee in der Navi-Ecke. Dort hätte ich mich gleich hinsetzen sollen!
Glücklicherweise ist mir bis auf einen leicht verstauchten Finger nichts passiert. Ich ziehe einmal dran, alles noch heil ! – und hole mir ein Eis-Pack aus dem Kühlschrank, um mir einhändig einen dicken Kühlverband zu machen. Leider kann Jochen mir nicht helfen, denn in dieser Sause muss er am Ruder die Stellung halten!
Keine zehn Minuten später ist der Wind wie abgestellt. Auch die Welle ist weg, wir sind im Lee der Insel angekommen.
Wir laufen in die Marina von Tazacorte ein, und wegen meines „schlimmen Fingers“ und des eindeutig zu groß geratenen Verbandes bin ich zu irgendwelchen Handgriffen an Leinen oder Fendern nicht in der Lage. Die Capitana muss deshalb den Anleger fahren. Das mache ich normalerweise nicht gerne, ich lege lieber ab. Heute aber weiss ich: Hier kann nicht mehr viel passieren, wir sind sicher angekommen. Wir sind beide ganz ruhig – und alles klappt wunderbar wie bei einem sehr, sehr gut eingespielten Team.
Segeln kann so schön sein.
Über die weitere Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen an Bord muss die Capitana noch nachdenken. Vielleicht Sicherheitsgurte am Wohnzimmer-Tisch?? Oder reicht es auch, sich bei Seegang schlicht und einfach nicht nach Luv zu setzen. Eigentlich was für Anfänger, oder ? ….
Na gut. Darüber können wir später sprechen. Jetzt muss erstmal ein Funk-Modem und ein Autopilot repariert werden.
– Vorherigen Törnbericht lesen – Nächsten Törnbericht lesen –
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