Mai 2018, Nordatlantik – (TL) Da liegt der Mann also schlafend auf der Cockpitbank und stöhnt, und die Frau übernimmt das Kommando. Mist, denke ich, so ein großer Mist!! Sie wird bestimmt umkehren ! ::::
Mai 2018, La Graciosa – Es wurde Zeit! Schon seit vier Jahren segeln die beiden mit mir, machen Fotos und schreiben Geschichten darüber. Nie fragen sie mich! Jetzt will ICH mal das Wort führen…
Schon seit drei Wochen sind wir in Caleta del Sebo. Die Frau, Barbara, ist immer noch begeistert und mag den Ort sehr. Sie zieht laufend alleine los, macht Fotos und kommt dann glücklich zurück. Deshalb kann der Mann, Jochen, nicht einfach mit mir weitersegeln. Obwohl er es gerne täte, das merke ich wohl. Jeden Tag studiert er den Wetterbericht. Einmal schon hätten wir sehr, sehr gut und schnell weiterziehen können. Aber die Frau wollte einfach nicht. Das wäre nichts für sie, sie wäre nicht mehr zwanzig, hat sie gesagt.
Ich aber finde es in Caleta del Sebo SCHRECKLICH. Hier liegen viele stolze Schiffe, wie ich hochseetüchtig – aber fest vertäut, und ihre Leute haben sich davon gemacht. Das muss man sich vorstellen: gefesselt und zurückgelassen, und die Crew haut ab nach Hause! Zurück blieben die Excalibur, die Trade Wind, die Sensation, die Harmony … und viele andere. Immer noch stolz, aber allein, einsam und voller Wüstenstaub. Ich höre sie des nachts leise wimmern…
Ich gebe zu, es ist nicht leicht, von hier nach Norden zu segeln. Schließlich kommen von dort fast immer Wind und Welle – sowie ein ordentlicher Strom in Richtung Süden. Das ist blöd, wenn man nach Hause in Richtung Deutschland will. Aber sich einfach so davon machen? Gestern hat sich der Mann mit dem Stegnachbarn über die Liegegebühren hier unterhalten. Und dass der Wachdienst hier nicht schlecht sei. Mir wird ganz anders, wenn ich daran denke, dass die beiden auch mich hier zurücklassen könnten. Dabei war ich schon den ganzen Winter allein in Tazacorte an Land!
Mittwoch d. 16.5., La Graciosa – Puuh. Glück gehabt. Es gibt „ein Wetterfenster“, und wir werden weitersegeln. Der Mann ist schon voller Vorfreude und unterhält sich ständig mit einem anderen Skipper darüber. Die Frau aber findet immer was zu meckern. Die Welle sei zu hoch, der Wind zu nördlich, die Lage zu instabil. Mann, Mann, Mann. Muss sie immer so ein Schisshase sein? Was soll schon passieren? Ich bin schließlich stark und habe ein Rigg, mit dem sie Kap Horn umrunden könnten, Wetter hin oder her! Der Mann, Jochen, ist immer zuversichtlich. Nord-Nord-Ost, das kann man segeln, sagt er. Kein Problem!
Immerhin fängt die Frau an, im kleinen Dorfladen den Proviant für eine einwöchige Seereise zu den Azoren einzukaufen. Sie kocht Gulasch, Kartoffelsuppe und Kichererbseneintopf und macht einen Kartoffelsalat mit Würstchen für unterwegs. Auf dem Steg wird nochmal Wäsche gewaschen. Meine Waschmaschine funktioniert nicht, wenn es keinen Strom gibt. Also panschen die beiden in zwei Bottichen herum, waschen Hosen, T-Shirts und Handtücher und wringen danach alles aus. Alles trocknet auf meinem Vorschiff ganz schnell in einem Wind, der jetzt immer östlicher kommt. Es geht los, es geht lohoos !
Freitag, d. 18.5., Nordatlantik, 11:00 Uhr – Wir sind endlich aufgebrochen, und die anderen Schiffe haben mir zum Abschied freundlich zugewunken. Mach´s gut, TinLizzy! Aber als die Nachbarn uns gute Reise und „Fair Winds“ gewünscht haben, hat die Frau, Barbara, mit den Augen gerollt. Ich glaube, sie traut mir nicht. Sie hat darauf bestanden, dass ich vollgetankt werde. Dabei will ich segeln!
Als wir den Rio zwischen Lanzarote und La Graciosa endlich verlassen haben und auf Kurs gehen, fällt mir ein Stein vom Herzen. Segeln! Und endlich mal wieder hoch am Wind! Er weht mit 3 Beaufort, allerdings aus Nord, nicht Nord-Nord-Ost, und unser Kurs, wenn wir zu den Azoren wollen, ist 300 Grad. Trotzdem: Kein Problem, sagt der Mann. 60 Grad am Wind, das ist Komfortzone. Trotzdem leiden Jochen und Barbara unter den Wellen. Die sind nicht ohne.
Freitag, d. 18.5., Nordatlantik, 13:00, Pos. 29:17´N, 013:31´W – Was ist das? Jochen wird blass, und um seine Nase zeigt sich ein grüner Schimmer. Eben noch hat er alle Reffs ausgeschüttet, weil der Wind ab-, aber die Welle zunahm. Jetzt ist er fix und alle. Ich muss mich ein bisschen hinlegen, hat er gesagt, getan – und das Kommando an die Frau übergeben.
Da liegt Jochen jetzt also schlafend und stöhnend auf der Cockpitbank, und Barbara übernimmt das Steuer. Mist, denke ich, so ein Mist!! Jetzt macht sie kehrt! Ich sehe, wie sie auf dem Kartenplotter den Kurs zurück nach Lanzarote und nach Gran Canaria berechnet. Dreht sie jetzt um?
Macht sie nicht. Obwohl es wieder aufbrist, und obwohl der Mann weiter schläft, bleibt sie auf Kurs, weg vom Land, hinaus auf den weiten Ozean! Sie ist doch nicht so schissig, wie ich dachte!
Freitag, d. 18.5., Nordatlantik, 15.00, Pos. 29:24´N, 013:54´W – Mann, Mann, Mann. Der Mann ist zwar nicht mehr so blass wie vorhin, aber er schläft immer noch – obwohl der Wind deutlich zugenommen hat und ich zu viel Segel trage. Die Frau refft das Groß und ersetzt die Genua durch das Kuttersegel. Gut gemacht ! Jetzt laufe ich wieder so ruhig, dass man ein Damen-Kaffeekränzchen veranstalten könnte. Mein Freud Winnie the Pilot – die Selbststeuerung – versieht tapfer seinen Dienst. Die Frau geht in die Kajüte, um einen Tee zu kochen.
Da, ganz plötzlich – Barbara sieht das aus dem Küchenfenster – kommen drei junge, freche Orcas auf uns zu. Sie sind neugierig und umrunden mich. Dabei tauchen sie immer wieder auf und ab, zeigen ihren schönen, schwarz-weiss gefleckten Leib und ihre stolze Finne. Die Frau ist total aus dem Häuschen, und rennt sofort – und OHNE RETTUNGSWESTE – mit dem Fotoapparat nach draußen.
Was regt sie sich so auf, frage ich mich. Drei Orcas, na und? Hatten wir schon häufiger! Der Ozean ist voll davon! Und jetzt hopst sie rum wie wild?! Sie soll lieber aufpassen, dass sie beim Fotografieren nicht ins Wasser fällt. Winnie the Pilot kann schließlich kein Mann-über-Bord-Manöver fahren, und der Mann schläft immer noch!
Glücklicherweise geht alles gut . Die Frau fotografiert mit dem Teleobjektiv mehrfach das Wasser, aber sie bleibt an Bord.
Freitag, d. 18.5., Nordatlantik, 21:00, Pos. 29:37´N, 014:21´W – Jetzt ist der Mann wieder wach, aber die Frau ist krank. Barbara, die immer stolz erzählt, dass sie in fast 40 Seglerinnen-Jahren und in mehr als 10.000 Ozean-Meilen noch NIE seekrank war, spuckt sich die Seele aus dem Leib. Was ist das denn? Das Fotografieren ist ihr nicht bekommen.
Samstag, den 19.5., Nordatlantik, 7:30 GMT, Pos 30:09´N, 015:14´W – Die Frau leidet immer noch. Sie hat die ganze Nacht in der Koje verbracht, und Jochen musste alleine segeln. Kein Problem, sagt der Mann. Er vertraut mir, und er vertraut Winnie the Pilot, dem AIS-Alarm und seinem Wecker. Alle 20 Minuten schaut er sich um, dann legt er sich hin – und schläft sofort ein.
Die Welle allerdings ist unerträglich, das finden nicht nur Jochen und Barbara, sondern auch ich. Das halten wir nicht durch bis zu den Azoren! Bei mir haben mittlerweile alle Pumpen den Geist aufgegeben. In allen Systemen ist Luft, denn in den Wassertanks ist von all dem Geschaukel nur noch Schaum. Außerdem haben sich von den Wänden meiner Tanks kleine Kalbablagerungen gelöst, die jetzt die Vorfilter der Pumpen verstopfen.
Da hilft nur eins: Wir müssen noch höher an den Wind, Kurs 330° – und Kurs auf Madeira nehmen. Das schaffen wir derzeit bei dieser Welle nur als Motor-Segler. Die beiden reffen das Kutter-Segel und schalten den Motor an. Welch ein Glück, dass die Dieseltanks voll sind. Es ist doch gar nicht schlecht, wenn man einen Schisshasen an Bord hat!
Samstag, den 19.5., Nordatlantik, 15:00 Uhr, Pos. 30:37´N, 015:37´W – Mannomann, das ist Glück und Pech zugleich! Die Welle macht jetzt auch mir zu schaffen, und ich habe überall Blähungen. Auch in meinen Dieseltanks ist nur noch Schaum – und die Dieselpumpe für den Tagestank zieht mehr Luft als Diesel. Unmöglich, genug Spritnachschub zu pumpen. Soweit das Pech. Unser Glück: Der Wind dreht auf NNO – und ich kann wieder segeln.
Sonntag, den 20.5., Nordatlantik, 0:00 Uhr, Pos. 31:03´N, 016:02´W – Wir segeln immer noch. Die Frau ist wieder auf Nachtwache – und hat sich etwas ausgedacht, damit ich wieder an Dieselnachschub komme. Als Jochen gegen 1:30 aufsteht, um sie abzulösen, wird der Plan diskutiert – und sofort umgesetzt. Vorübergehend werden alle Dieselfilter kurzgeschlossen und überbrückt – und der Diesel direkt aus den Tanks in den Tagestank gepumpt, wo die Luftblasen einfach aufsteigen können. Eine Aktion, bei der beide abwechselnd kopfüber in der Kiste hängen… Weder der Mann noch die Frau werden seekrank. Hut ab! Ich bin ein wenig stolz auf meine Leute!
Sonntag, den 20.5., Nordatlantik, 9:30 Uhr, Pos 31:40´N, 016:32´W – Der Wind hat nachgelassen, ebenso die Welle. Die Sonne scheint. Mit einem Reff in Groß und Genua gleiten wir auf Kurs 330° in Richtung Madeira. Der Mann macht ein Sonntagsfrühstück, und die Frau ist zufrieden. So geht Segeln, wie sie es mag. Mir gefällt es auch nicht schlecht ….
Sonntag, den 20.5., Nordatlantik, 16:00 Uhr, Pos 32:08´N, 016:51´W – Die Ilhas Desertas kommen in Sicht, und wir geraten in den Wind- und Wellenschatten von Madeira. Wir werden immer, immer langsamer. Was für ein Glück, das ich meinen Motor benutzen kann! Es sind schließlich noch mehr als 20 Meilen bis Madeira….
Doch komisch: Auch unter Motor komme ich einfach nicht voran. Der Mann findet aber schnell heraus, woran es liegt. Ich schleppe einen riesigen Tampen mit mir herum, der sich in meinem Steuerbord-Ruderblatt verfangen hat. Wir stoppen auf, und Jochen schafft es, das Ding mit dem Bootshaken zu lösen.
Sonntag, den 20.05, Madeira, 22:00 Uhr – Es ist spät geworden, und wir werden unser Ziel, den Hafen von Calheta, im Dunklen erreichen. Die Frau hat Bedenken. Ist die Hafeneinfahrt befeuert? Sie glaubt nicht und plädiert für Funchal als Ausweichhafen. Mann, Mann, Mann. Warum muss sie immer so vorsichtig sein? Hätte Columbus Amerika entdecken können, wenn er auf einer befeuerten Hafeneinfahrt bestanden hätte? Nein!
Glücklicherweise ist der Mann wieder mal mutiger. Kein Problem, sagt der Mann. Er kennt den Hafen, er war schon zwei Mal da, er fährt uns da rein. Das ist ein Kerl! Er drückt der Frau den Scheinwerfer in die Hand und lässt sie leuchten. Viel ist nicht zu sehen – aber es reicht mir, um mich vorsichtig in die Einfahrt hinein zu tasten. Die beiden machen ihre Sache gut!
Sonntag, den 20:05, Calheta, 22:30 Uhr – Wir liegen am Steg in Calheta, die Leinen sind fest. Alles halb so wild gewesen. Morgen geht es an die Reparaturen. Jetzt erstmal gute Nacht!
– Vorherigen Törnbericht lesen – Nächsten Törnbericht lesen –
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