August 2016 – Sao Jorge, Azoren – Das abendliche Konzert der Sturmtaucher hält uns wach. Hunderte von ihnen kreisen mit einbrechender Dunkelheit hoch oben über den Felsklippen der Bucht und schreien vielstimmig und eindringlich: „Äaua, äaua, geäiee“.
Fast klingt es, als klagten sie über ihr Los: Viele zehntausend Kilometer legen sie in jedem Jahr zurück. Im Frühjahr nisten die Sturmtaucher auf Felsen und Klippen hier im Nordatlantik, wo im Juli ihre Jungen schlüpfen. Ab Oktober ziehen die Familien zum Überwintern bis nach Amerika oder Afrika. Bis dahin müssen die Sturmtaucherküken ihr Gewicht verzehnfacht haben und topfit sein :::::
Sonntag, d. 31.07, Terceira, Baia dos Mos – Skipper Jochen ist glücklich, denn wir haben Ankerwetter! Nach drei Tagen im Hafen von Angra sind wir wieder in Richtung Praia da Vitoria aufgebrochen; dort wollen wir in einigen Tagen Tochter Hanna an Bord nehmen. In Praia sind aber immer noch die Feierlichkeiten zum „Festa da Praia“ im Gange. Es wird nachts sehr laut werden, das kennen wir schon. Wir wollen uns deshalb noch eine Weile abseits halten. Wind und Welle stimmen – und wir werfen den Anker im Südosten Terceiras vor der beeindruckenden Felskulisse der Baia dos Mos.
Das Wasser ist kristallklar, und unser Ankervergnügen wird nur durch die zahlreichen Nesselquallen getrübt, die es sich hier in der Bucht gemütlich gemacht haben. Schwimmen können wir also nur mit „Quallenwache“: Einer schwimmt, einer wacht. Auch ein Landgang ist nicht möglich, denn es gibt nirgendwo eine Stelle zum Anlanden. Wir machen es uns an Bord gemütlich, kochen uns ein leckeres Essen und genießen mit aufkommender Dunkelheit den tollen Sternenhimmel. Die Bucht haben wir ganz für uns allein.
Dienstag, d. 2.8., Terceira, Praia da Vitoria – Wir sind doch schon wieder in Praia da Vitoria. Gestern drehte der Wind auf Südost und brachte Schwell in die Ankerbucht, so dass wir unseren Liegeplatz verlegen mussten. Am Anker sind wir aber immer noch, diesmal im südlichen Teil der Bucht bei Praia. Auch hier gibt es einen wunderbaren Sandstrand.
Gegen Mittag machen wir einen kleinen Törn auf dem Atlantik, um endlich unseren kürzlich geflickten Gennacker auszuprobieren. TinLizzy rauscht nur so davon, der Segelmacher in El Rompido hat gute Arbeit geleistet….
Donnerstag, d. 4.8., Praia da Vitoria – Große Aufregung. Schon gestern haben wir erfahren, dass wir auf der Insel derzeit keinen Mietwagen bekommen können. Die Insel ist voll, voll, voll – und alle wollen Auto fahren. Wie sollen wir jetzt Tochter Hanna vom Flughafen abholen? Auch am Taxistand fehlen die Autos, alle Taxen der Insel sind im Dauereinsatz. Mit großem Glück gelingt es uns schließlich, einen Wagen zu ergattern; wir teilen ihn uns mit einer anderen Frau, die ebenfalls zum Flughafen muss.
Gegen Nachmittag sind wir – zusammen mit Tochter Hanna – wieder an Bord, immer noch vor Anker. Der Yachthafen ist: voll.
Freitag, d. 5.8., Angra – Eigentlich wollten wir Hanna die Insel per Mietwagen zeigen, doch es ist auch heute nirgendwo ein fahrbarer Untersatz aufzutreiben. So machen wir uns per Boot auf zur Inselhauptstadt Angra, der Hauptattraktion Terceiras.
Gegen 17 Uhr legen wir im Yachthafen von Angra an. Der Hafen liegt mitten in der Stadt in einer kleinen Bucht, und das Beste ist: Direkt an der Wasserkante gibt es ein gutes Restaurant, das uns schon mehrfach empfohlen wurde.
Samstag, d. 6.8., Angra – Die Stadt ist – schließlich zählt Angra zum Weltkulturerbe – tatsächlich wunderschön, aber im Hafen steht ein fürchterlicher Schwell. Das können wir nicht aushalten, da wird man ja schon am Liegeplatz fast seekrank! Gleich früh am Morgen werfen wir deshalb die Leinen los und machen uns auf den Weg zur nächsten Azoren-Insel: Sao Jorge.
Auch während der Fahrt haben wir mit einer mächtigen, alten Dünung zu kämpfen. Hanna, die noch keine Seebeine hat und an die Atlantik-Welle nicht gewöhnt ist, verbringt die meist Zeit schlafend in der Koje.
Wir haben großes Glück, dass wir in Velas auf Sao Jorge einen Liegeplatz im Hafen bekommen. Auch hier, auf Sao Jorge, ist es voll, voll, voll. Abends beim Essengehen bekommen wir gerade noch den letzten Platz auf der Terasse.
Sonntag, d. 7.8., Velas, Sao Jorge – Hola, was ist hier los? Auch Sao Jorge ist von Touristen überschwemmt. Mehr als doppelt so viele wie im letzten Jahr seien in diesem Jahr gekommen, erzählt man uns. Mietwagen? Fehlanzeige. Der Hafenmeister, ein echtes Goldstück, organisiert uns eine Kurzmiete. Für acht Stunden, von mittags zwölf Uhr bis abends um Acht – können wir morgen einen Wagen bekommen.
Derweil machen wir uns mit der Taxe zum Dorffest nach Urzelina auf. Dort soll heute direkt am Kai ein Stierkampf stattfinden. Wir finden den Ort des Geschehens sofort und schauen eine Weile zu. In Portugal dürfen Stiere beim Stierkampf nicht verletzt und getötet werden. Es ist eher eine Art Volksbelustigung und Mutprobe für Halbstarke: Während der Stier von 6 starken Männern, den „Hirten“ an einer langen Leine geführt wird, versuchen andere, ihn anzustacheln – um ihm dann geschickt auszuweichen. Wenn der Stier erschöpft ist, kommt der nächste dran. Hhmm.
Zu allem Überfluss springt in Urzelina gleich der erste von vier Stieren bei der Verfolgung von ein paar Halbstarken zweimal ins Meer und schluckt dabei soviel Meerwasser, dass er fast ertrinkt. Er kommt in der Brandung kaum an Land und muss regelrecht wiederbelebt werden. Das ist nichts für uns! Hanna ist empört.
Montag, den 8.8., Sao Jorge – Kleine Inselrundfahrt. Sao Jorge ist ein echtes Idyll. Auf dieser Insel ist nix los, außer viel Natur und viel Landwirtschaft. Ich fühle mich wie in Kindertagen im Dänemark-Urlaub auf den Ostsee-Inseln. Überall riecht´s nach Heumahd, Kühen und Stallmist….
Dienstag, d. 9.8., Sao Jorge – Wandertag. Wir haben die Wanderschuhe ausgepackt und wollen vom „Picinho da Urze“ immer abwärts bis zur Faja dos Cubres wandern. Die eigentliche Herausforderung liegt aber nicht in den Bergen, sondern darin, dorthin zu kommen!
Obwohl schon um 8:30 Uhr am Taxenstand sind, bekommen wir erst gegen 11 Uhr einen Wagen, der uns zum Startpunkt unserer Wanderung bringt. Dann aber kann es losgehen.
Der Weg führt zunächst durch eine dichte Wolkendecke auf den Picinho da Urze. Von dort geht es auf einem holperigen Felspfad immer abwärts durch Wälder, Wiesen und Weiden – atemberaubende Ausblicke auf den Atlantik inbegriffen. Einziger Wermutstropfen: Es sind viele, viele andere Wanderer unterwegs, und das ist manchmal ganz schön stressig, da es auf dem steinigen Pfad nicht leicht ist, zu überholen bzw. sich überholen zu lassen. Wir hören spanisch, italienisch, fränzösisch, holländisch, portugiesisch …. Es ist ein internationales Publikum, das sich derzeit auf den Azoren herumtreibt, und alle sind anscheinend wanderlustig.
Am frühen Nachmittag kommen wir in der Faja de Santo Cristo an. Sao Jorge ist bergig, und die Küstenlinien steigen normalerweise direkt ab der Wasserkante steil auf. Die Fajas dagegen sind vorgelagerte Tiefebenen, auf denen sich kleine Dörfer befinden, die zum Teil noch heute bewohnt sind und in denen früher intensiv Landwirtschaft betrieben wurde. Oft sind sie nicht per Auto, sondern nur auf Felswegen mit Esel, Trecker, Quads oder zu Fuß zu erreichen.
Wir kehren in einer kleinen Gastwirtschaft ein. Auch hier ist es voll, und die Belegschaft ist mit diesem unerwarteten Ansturm ein wenig überfordert. Es dauert ewig, bis wir endlich ein Getränk ergattert haben. Wir sind ziemlich erschöpft ….
Nach weiteren 1 1/2 Stunden erreichen wir nach stetigem Auf und Ab entlang der Küste die Faja dos Cubres. Hier holt und gegen 18 Uhr die Taxe wieder ab. Als wir am Abend wieder auf TinLizzy ankommen, sind wir redlich müde!
Abends allerdings hält uns das abendliche Konzert der Sturmtaucher wach. Hunderte von ihnen kreisen in der mit einbrechender Dunkelheit hoch über den Felsenklippen der Bucht und jammern lauthals und eindringlich: „Äaua, äaua, geäiee“. Fast klingt es, als klagten sie über ihr Los.
Viele zehntausend Kilometer legen sie in jedem Jahr zurück, erzählt uns Bernd, der Skipper des Nachbarschiffs „Milagro“. Im Frühjahr nisten die Sturmtaucher auf Felsen und Klippen im Nordatlantik, wo im Juli ihre Jungen schlüpfen. Ab Oktober ziehen die Familien zum Überwintern bis nach Amerika oder Afrika. Bis dahin müssen die Sturmtaucherküken ihr Gewicht verzehnfacht haben und topfit sein. 55 Tage lang sind Mutter und Vater Sturmtaucher schwer beschäftigt, um ausreichend Nahrung zu ihren Kids hoch oben in die Klippen zu bringen. Ihre unablässigen Klagelieder dienen dabei der Navigation und Orientierung in den Felsen, denn sie füttern ihre Kinder zu deren Schutz nur in der Dämmerung und des Nachts.
Ich bin beeindruckt. Wie können so kleine Tierchen solche beachtlichen Leistungen vollbringen? Bei mir reichen schon ein paar Kilometer Auf und Ab, um mich an meine Grenzen zu bringen, und schon jetzt, nach 5 Monaten an Bord der TinLizzy und 1500 gesegelten nautischen Meilen stellt sich bei mir in Anbetracht des Hochsaison-Trubels eine gewisse Reisemüdigkeit ein. Heimweh und Erschöpfung hätten mich sicher schon längst übermannt, wenn mich nicht Natur-Erlebnisse wie diese immer wieder aufs Neue begeistern würden!
Mittwoch, d. 10.8., Sao Jorge – Immer noch kein Mietwagen für eine Inseltour zu bekommen, und die Attraktionen von Velas sind langsam abgearbeitet. Aber wir wollen nicht klagen – das wäre wirklich Jammern auf hohem Niveau. Wir machen uns deshalb startklar für die Weiterreise.
Vorher allerdings muss noch die Windfahne im Mast repariert werden. Seit vielen Seemeilen ärgern wir uns schon, dass sie sich manchmal verhakt und falsch anzeigt. Also heisst es: Auf in den Mast.
Wir ziehen Jochen mit dem Bootsmannsstuhl hoch. Mit ein paar Handgriffen hat er das Ding repariert. Als er wieder unten ist, bekommt auch Hanna Lust auf einen kleinen Ausflug nach ganz oben. Eins, zwei, drei hängt auch sie in den Seilen und lässt sich in den Mast ziehen – ein würdiger und aufregender Abschluss für unseren Aufenthalt in Velas. Morgen geht´s weiter nach Pico…
– Vorherigen Törnbericht lesen – Nächsten Törnbericht lesen –
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