Juni 2020, Rügen, Ostsee – (BW) In Zeiten von GPS und elektronischen Seekarten haben die alten Seezeichen eigentlich ausgedient. Schon seit Ewigkeiten haben wir zur Navigation kein Leuchtfeuer mehr angepeilt. Trotzdem ziehen sie uns in ihren Bann. Wenn nach langem Törn und vielen dunklen Stunden das ersehnte Kap in Sicht kommt und ein Leuchtturm den Weg weist, dann hat das etwas. Leuchttürme sind etwasfür echte Seefahrer – alt und analog !
Montag, d. 8.6., Schleimünde – Um 20:30 Uhr passieren wir die Hafeneinfahrt von Maasholm, lassen Schleimünde und die Giftbude auf Backbord liegen und verlassen die Schlei. Vor uns liegt die Ostsee – und hinter uns blitzt in der untergehenden Sonne das Leuchtfeuer von Schleimünde. Wie schön es hier ist! Wir werden fast etwas wehmütig.
Etwa 24 Stunden werden wir brauchen, bis wir unser erstes Etappenziel, die Insel Rügen, erreicht haben. Jetzt segeln wir erstmal in die Nacht. Der Himmel ist klar, und es wird kalt werden!
Dienstag, d. 09.06., Rügen – TinLizzy macht gute Fahrt. Wie immer übernehme ich die erste Nachtwache. Es ist nicht sehr dunkel, denn wir segeln im Norden, und bald ist Mittsommer. Auf einem Halbwindkurs passieren wir dasLeuchtfeuer „Keldsnor Fyr“auf Langelands Südspitze und lassen die vielbefahrene Kieler Bucht an Steuerbord liegen.Außer ein paar Frachtern, die – ausKiel kommend– nach Westen oder Osten abbiegen, ist nichts los. Es ist fast ein wenig langweilig. Ich vertreibe mir die Zeit, indem ich eine Wärmeschicht nach der anderen anlege: Wollene Unterhosen. Wollsocken. Fleece-Jacke. Thermo-Weste. Handschuhe.….. Es ist saukalt. Sagte ich das schon?
TinLizzy hält jetzt auf die nördliche Spitze Fehmarns zu. Auch dort blinkt und blitzt ein Leuchtfeuer: Alle 10 Sekunden erscheint für etwa 2 Sekunden ein weißes Licht am Horizont. Das kann nur der Turm von Westermarkelsdorf sein, dessen weißer Sektor etwa 8 Seemeilen weit zu sehen ist.
Es ist eigenartig. In Zeiten von GPS und elektronischen Seekarten haben die alten Seezeichen eigentlich ausgedient. Zur Positionsbestimmung habe ich schon seit Ewigkeiten kein Leuchtfeuer mehr angepeilt. Trotzdem ziehen mich die Leuchttürme in ihren Bann. Wenn nach langem Törn und vielen dunklen Stunden ein ersehntes Kap endlich in Sicht kommt und ein Leuchtturm den Weg weist, dann hat das etwas. Leuchttürme sind etwas für echte Seefahrer – alt und analog ! …
Um 4 Uhr, es wird schon wieder fast hell, übernimmt Jochen die Wache. Auch er friert. Ich höre unten in meiner Koje, wie er mehrfach über die Fähren schimpft, die zwischen Puttgarden auf Fehmarn und Rœdby auf Lolland verkehren. Leider kann er sich deshalb nicht in den Windschutz der Sprayhood setzen, sondern muss hinterm Steuer stehen und aufpassen.
Schließlich ist es geschafft. Fehmarn ist passiert, und jetzt geht es – den Schiffahrtsweg und das Verkehrstrennungsgebiet meidend – weiter Richtung Osten.
TinLizzy segelt und segelt, und der Nordwestwind bringt uns auf Halbwindkurs mit konstanten 5 bis 6 Knoten zum Ziel. Wir frühstücken, wir essen zu Mittag, wir trinken Kaffee, wir essen Abendbrot. Beschaulicher kann man nicht segeln!
Gegen 18 Uhr ist es geschafft. Querab liegt – von der Abendsonne in goldenes Licht getaucht – der Leuchtturm von Hiddensee, „Dornbusch“ genannt. Wir passieren das Kap, biegen nach Steuerbord in das Fahrwasser zum Schaproder Bodden ein und bergen die Segel.
Der Abend ist so schön, dass wir noch nicht in eine Marina wollen. Wir genehmigen TinLizzy noch ein paar Extrameilen unter Motor und tuckern in den Wieker Bodden.
Jetzt sind wir froh, dass wir mit TinLizzy nicht „alt“ und „analog“, sondern „neu“ und „digital“ unterwegs sind. Die Boddengewässer sind flach und voller Untiefen, die Fahrwasser eng, die Fahrwassertonnen weit auseinander. Eine Kartennavigation wäre jetzt, nach 24 Stunden Fahrt, echt fordernd. Stattdessen setzen wir auf unserem Kartenplotter ein paar Wegepunkte und lassen uns vom Autopiloten steuern. Nach etwa einer dreiviertel Stunde sind wir drin im Bodden.
Wir finden am westlichen Ende kurz vor dem kleinen Örtchen Dranske einen idyllischen Ankerplatz, wie für uns gemacht. Durch den schmalen Uferstreifen blicken wir hinüber zum Leuchtturm Dornbusch, hinter dem jetzt bald die Sonne versinken wird. Der Wind weht lau und kommt immer noch aus Nordwest. TinLizzy liegt ruhig, ganz ruhig, das Wasser ist spiegelglatt. Es ist total still, nur ein paar Wasservögel sind unterwegs.
Erst morgen früh soll der Wind auf Ost drehen. Bis dahin gilt: Das Leben ist wunderbar!