Juni 2016, Madeira, Nordatlantik : Es ist dunkel, und ich sehe nichts. Klick, klick, klick… So ungefähr müssen es Blinde machen! Ich schlage mit meinem Wanderstock linker Hand gegen den Rand der Levada, dorthin, wo der Sockel endet und das Wasser beginnt. Mit der rechten Hand taste ich mich – fast im Entengang – an der Felswand entlang. Nimmt denn dieser Tunnel nie ein Ende ? ::::
Dienstag, d. 31. Mai . Juni – Funchal – Wir fahren mit dem Bus nach Funchal. Für den morgigen Tag haben wir uns mit Segelfreunden, die wir auf Porto Santo kennengelernt haben, in Madeira zum Wandern verabredet. Die Levadas sind unser Ziel – das sind typisch madeirensische Bewässerungsgräben an den Hängen der Berge. Wir haben deshalb heute zwei Aufgaben: eine Route auszukundschaften und außerdem Wanderschuhe sowie -stöcke zu beschaffen.
In Funchal angekommen, suchen wir uns zunächst eine Buchhandlung. Wir wollen – ganz altmodisch – eine Wanderkarte oder einen Wanderführer kaufen.
Die nette junge Dame aus der Buchhandlung spricht hervorragend Englisch und kann uns sofort einige Empfehlungen geben: „Don´t take a map, take a guide instead! Every year, many tourists get hurt and break their legs because they are reading their map instead of watching theirs steps. Walking the Levadas, you can´t get lost. Buy this guide, it has been written by a guy from Madeira, who knows the Levadas well. After reading it you won´t need a map any more.“
Unser Portugiesisch ist im Entstehen, aber es reicht noch nicht, um den Levada-Führer von „Raimundo Quintal“ im Original zu lesen. Deshalb kaufen wir eine Übersetzung ins Deutsche. Ein Fehler, wie sich herausstellen wird!
Mittwoch, d. 1. Juni, Monte – Wir schlafen lange, denn wir haben die halbe Nacht Bücher über die Naturgeschichte Madeiras und den Levada-Führer von Quintal studiert. Hölle!
„Die Lehranstalten und Massenmedien haben die Pflicht, an dieser Umwelterziehung der Bevölkerung teilzunehmen, indem sie die Änderung von Verhaltensweisen fördern, wo es keinen Raum für Verschwendung gibt, und wo Konsum kein Synonym für Lebensqualität ist“, schreibt Quintal in seiner Einleitung. Ach du grüne Neune! Hoffentlich sind die Levadas nicht genauso spröde….
Immerhin wissen wir jetzt, wann und wie Madeiras beeindruckende Vulkan- und Felslandschaften entstanden sind. Ein gigantischer, Lava spuckender „Hot Spot“ hat vor Millionen von Jahren auf der sich bewegenden Afrikanischen Platte nacheinander die Inseln des Madeira-Archipels entstehen lassen – ähnlich wie die Kapverden, die Kanaren und auch die Azoren. Alle Inselgruppen zusammen bilden geografisch die Region „Makaronesien“.
Das klingt doch gut! Irgendwie wie Südsee!
Wir suchen uns in Quintals Levada-Führer eine Route aus, die „keine gefährlichen Stellen“ aufweist und auch für Leute geeignet ist, „denen leicht schwindelig wird“. Perfekt geeignet für mich, denn ich komme aus Niedersachsen, und ich kann keine Berge! Unser Weg soll uns von Monte nach Camacha führen.
Donnerstag, d. 2. Juni, Monte – Wir holen morgens unseren Mietwagen ab und fahren schon einmal probeweise nach Monte und Camacha, um das Terrain unserer morgigen Wanderung zu sondieren. Die Berge sind wirklich toll und die Aussichten, die sich bieten, fantastisch.
Wir finden sowohl den Start- als auch den Endpunkt unser Wanderung auf Anhieb. Es ist Mittag, und unser Tages-Ziel ist schon erreicht!
Zufrieden leisten wir uns eine Touristen-Gaudi: Die Korbschlitten-Abfahrt von Monte Richtung Funchal.
Donnerstag, den 3. Juni, Monte/Camacha – Wir treffen uns mit Dirk, Ulrike und Border Collie Chica zur Levada-Wanderung. Unser schöner Führer erweist sich allerdings als absolut ungeeignet. In Monte finden wir zwar gerade noch den Anfang unserer Tour, aber schon nach einer halben Stunde haben wir uns trotz intensiven Literatur-Studiums total verlaufen. Na toll!
Statt auf einem geruhsamen Rentner-Wanderweg landen wir, steil bergauf durch Wald und Büsche stapfend, auf einer Geröllpiste. Wir merken, dass wir irgendwie falsch sind, aber bergab wollen wir auch nicht. An der Levada angekommen, bessert sich die Lage nur kurzzeitig. Nach einer gemütlichen ersten halben Stunde wird es plötzlich abenteuerlich, und wir wandern auf einem 40 cm-Sockel direkt neben steilen Abhängen.
Glücklicherweise haben alle Humor – und die grandiosen Aussichten entschädigen für alles. Wir wandern und wandern, kehren ein, genießen das Panorama. Gegen Nachmittag sind die anfänglichen Pannen fast vergessen.
Kurz vor Ende der Wanderung allerdings geraten wir noch einmal auf die falsche Fährte. Plötzlich – direkt vor uns – führt unsere Levada (und damit unser Wanderweg) durch einen langen, dunklen Tunnel. Was wollen wir tun? Umkehren?
Glücklicherweise haben Dirk und Ulrike zwei Kopflampen dabei. Wir beschließen, dass uns nach den bereits überstandenen Prüfungen jetzt auch ein Tunnel nicht mehr aufhalten kann. Ein bisschen Stress muss sein, meint Dirk. Als auf. Wir wollen nach Camacha!
Wir entern den Tunnel im Gänsemarsch, einer nach dem anderen – und Hündin Chica ist ohne Zaudern und Murren immer mittendrin. Beeindruckend, diese Hund.
Der Tunnel, ca. 1,80 breit und ebenso hoch, führt die Levada auf etwa 200 m direkt durch den Berg. Wir laufen auf einem etwa 40 cm breiten Sockel direkt neben dem Wassergraben. Nach etwa 50 Metern wird es immer dunkler und immer flacher. Wir können nicht mehr aufrecht gehen.
Es ist dunkel, ich sehe nichts. Klick, klick, klick… So ungefähr müssen es Blinde machen! Ich schlage mit meinem Wanderstock linker Hand gegen den Rand der Levada, dorthin, wo der Sockel endet und das Wasser beginnt. Mit der rechten Hand taste ich mich – fast im Entengang – an der Felswand entlang. Meine Bauchmuskeln schmerzen vor Anstrengung. Nimmt denn dieser Tunnel nie ein Ende ?
Schließlich, nach schier endlosen 20 Minuten und den längsten 200 Metern meines Lebens, ist es geschafft. Wir sind durch!
Danach ist alles ein Kinderspiel – und selbst steile Abhänge machen mir nichts mehr aus.
Gegen 18 Uhr kommen wir in Camacha an. Wir sind fix und fertig, aber zufrieden!
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