Juni 2016, Madeira, Nordatlantik : Mir zittern vor Aufregung die Hände, als ich die Kamera auf die beiden Grindwale richte, die direkt neben dem Rumpf der TinLizzy gemächlich vorbeiziehen. Es scheinen Mutter und Kind zu sein, denn der größere der beiden ist bestimmt 6 Meter lang, während es der kleinere höchstens auf 2 Meter bringt. Erst nach einigen Sekunden erlange ich wieder Kontrolle über meine Finger, und es gelingt es mir, die beiden abzulichten :::::
Sonntag, d. 5. Juni, Quinta do Lorde – Genau eine Woche sind wir jetzt in der Marina von Quinta do Lorde. Gestern kam die Genehmigung, dass wir mit TinLizzy zu den Ilhas Desertas segeln dürfen, eine Inselgruppe südöstlich von Madeira, die unter striktem Naturschutz steht. Also heisst es: Ordentlich einkaufen gehen, damit die Vorräte notfalls für ein paar Tage am Anker reichen.
Wir machen uns gleich mittags auf den Weg zum „Continental“ in Machico.
Vorher aber statten wir dem Wal-Museum einen Besuch ab. Was wir dort sehen und lernen, macht uns mächtig neugierig auf den anstehenden Segeltörn: Madeira ist, das wussten wir bisher nicht, ein ausgesprochen guter Ausgangspunkt für die Beobachtung von Walen.
Der Walfang war in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und nährte auf Madeira so manche Familie. Überall auf der Hauptinseln und auch auf Porto Santo finden sich deshalb ehemalige Walfänger- bzw. Beobachtungsstationen, von denen aus die gesamte Küstenregion des Madeira-Archipels überwacht wurde. Heutzutage fängt man Wale nicht mehr, sondern fährt stattdessen eine zahlende (Touristen-)Kundschaft zum „Whalewatching“ auf das Meer hinaus.
Wir staunen und lernen. Madeira bietet nicht nur eine ganz besondere, teils endemische Planzenwelt, sondern auch eine Tierwelt, die einzigartig ist. Auf den Desertas etwa erwarten uns 40 Mönchsrobben – die letzten ihrer Art, die es in Portugal gibt. Auch einige ganz spezielle Eidechsen- und Krebsarten soll es geben, die nur hier heimisch sind.
Montag, d. 6. Juni, Ilhas Desertas – Gleich morgens um 10 Uhr wollen wir starten. Noch ein letztes Mal in den Meerwasserpool hüpfen, dann heißt es: Leinen los.
Es ist ein wunderbarer Sommertag, und im Verlauf des Vormittags soll auch etwas Wind aufkommen. Schon nach ca. einer Stunde können wir die Segel setzen und gleiten mit einer leichten Brise und 5 Knoten Fahrt in Richtung Desertas.
Schon bald begleiten uns Delphine. Erst zwei, dann drei, dann vier dann fünf, … Nach wenigen Minuten können wir sie nicht mehr zählen. „Meerestiere sind gesellige Wesen“, gibt Jochen zum Besten. In seinem Angel-Fachbuch habe er gelesen, das Fische „gelockt“ werden müssten, jeder Hochsee-Angler verfüge deshalb über „Fish Attracting Devices“, mit denen er die Aufmerksamkeit der Meeresbewohner erregen und diese anlocken könne. Käme einer, kämen auch die anderen. TinLizzy sei offensichtlich ein solches „Attracting Device“. Ich stimme ihm zu, gebe aber zu bedenken, dass Delphine bekanntlich keine Fische…. Wir scherzen noch ein wenig hin und her – und weil wir die ganze Zeit die Delphine fest im Blick halten, übersehen wir fast, dass von achtern eine Gruppe von fünf noch größeren Meeressäugern aufkommt.
Erst durch ihr Schnaufen werden wir aufmerksam. „Wale!!“, ruft Jochen. Tatsächlich! Die Form ihrer Finne weist sie – das haben wir gestern gelernt – eindeutig als Grindwale aus. Eine Gruppe von fünf Tieren schwimmt so dicht zu uns heran, dass uns mulmig wird. Was sollen wir tun? Abdrehen? Weiterlaufen? Wir laufen weiter.
Mir zittern vor Aufregung die Hände, als ich die Kamera geholt habe und auf zwei Grindwale richte. Sie ziehen gemächlich direkt neben TinLizzy vorbei. Es scheinen Mutter und Kind zu sein, denn der größere der beiden ist etwa 6 Meter lang, während es der kleinere höchstens auf 2 Meter bringt. Erst nach einigen Sekunden erlange ich wieder Kontrolle über meine Finger, und es gelingt mir, die beiden abzulichten. Whow – das war aufregend!
Am frühen Nachmittag laufen wir in der Baia Doca ein. Die Bucht hat es in sich! In diesem Augenblick – bei Hochwasser und Springtide – bricht sich die Brandung an einer Steinmole, die sich ca. 100 Meter ins Meer hineinzieht. Dort spritzt das Wasser meterhoch und schwappt in die Bucht. Dahinter allerdings liege man, so sagt der Revierführer, trotzdem relativ geschützt. Wir sind skeptisch.
Wir wagen das Abenteuer dennoch und gehen vor Anker. Tatsächlich, es stimmt! Hinter der Mole ist es ruhig, und mit ablaufendem Wasser wird es immer friedlicher in der Bucht. Schließlich besucht uns sogar eine Mönchsrobbe. Sobald wir das Cockpit verlassen und den Fotoapparat zücken, ist sie aber wieder abgetaucht.
Am frühen Abend machen wir uns mit unserem Dinghi auf Landausflug. Es ist nicht einfach, heil an Land zu kommen, denn wir müssen durch eine kleine Brandungszone, und überall liegen Steine und Geröll. Es gelingt – aber unsere Hosen sind danach patschnass.
Wir stapfen an den Hütten einer Naturschutz-Station vorbei durch die Felsen. Viel zu wandern gibt es hier nicht, denn durch einen gewaltigen Erdrutsch vor einigen Jahren ist die Bucht von Doca nahezu komplett vom Rest der Insel abgeschnitten. Wir staunen trotzdem! Unterwegs begegnet uns eine Herde von Bergziegen, die sich mit beachtlichem Geschick und rasanter Geschwindigkeit über Felsen und Geröll bewegt.
Als wir zurückkommen, erwartet uns eine Überraschung! Wo zum Teufel ist unser Dinghi ?!! Wir hatten es sorgfältig an einer Festmacher-Boje vertäut – doch jetzt hängt da nur noch unsere Leine….
Wir finden unser Dinghi ca. 30 Meter weiter auf dem Steinstrand. Durch die ständige Bewegung in der Dünung muss sich der Knoten gelöst haben – und eine besonders kräftige Welle hat unser Dinghi dann auf den „Strand“ getragen. Glück gehabt – alles noch heil!
Zurück an Bord machen wir uns ein leckeres Abendbrot und gehen früh zu Bett. Viel ist nicht zu sehen hier ausser einem – wieder mal – fantastischen Sternenhimmel.
Dienstag, d. 7 Juni, Baia Doca, Madeira – In der Nacht werden wir mehrmals wach. Die Mönchsrobben, die wir tagsüber nicht zu sehen bekamen, müssen sich am Strand versammelt haben. Es riecht plötzlich wie im Zoo bei den Seehunden…, nach Fisch, Tran und nochmal Fisch. Auch den Vögeln, es müssen Sturmtaucher sein, ist das nicht recht, denn sie veranstalten ein gewaltiges Gezeter.
Morgens ist der Strand wieder leer, nur der kräftige Gestank nach Fisch hängt immer noch in der Bucht. Wir lichten deshalb früh den Anker und machen uns auf den Weg Richtung Madeira.
Der Wind ist komplett eingeschlafen und wir laufen unter Motor. Für die Delphine sind wir diesmal deshalb wohl zu laut. Die ersten beiden Stunden sind wir völlig allein unterwegs – bis ….
Ich kann es kaum glauben! Keine 200 Meter von uns entfernt taucht plötzlich eine kleine Felsinsel im Wasser auf. „Was ist das denn?“, wundere ich mich – und wieder schaltet Jochen schneller als ich. „Das ist ein Wal, und was für einer!“, ruft er. Wir drehen sofort nach backbord ab und schalten den Motor aus. Gemächlich zieht der Riese weiter seine Bahn. Wir sehen seinen Kopf, seinen buckligen Nacken, seine Schwanzflosse – und dann taucht er ab. Das war ein Pottwal!
Und bald sehen wir: Auch er ist nicht allein, kurz danach wird eine zweite – kleinere – Schwanzflosse sichtbar. Wieder trafen wir Mutter und Kind.
Wir sind sehr glücklich und sehr dankbar. Es gibt nicht viele Menschen auf der Welt, die so etwas sehen dürfen!
Nachmittags gehen wir in der Bucht von Machico vor Anker. Durch die Erlebnisse der vergangenen Tage hat sich, wie wir hier vor der beeindruckenden vulkanischen Felskulisse des Roca Rojo bemerken, unsere Wahrnehmung verändert.
Die Touristenflieger, die über uns einfliegen und lautstark den nahen Aiport Funchal ansteuern, stören uns nicht im geringsten. Touristen kommen, Touristen gehen. Wir spüren: Unser kleines Leben ist ein Wimpernschlag – verglichen mit dem, was wir hier an Erdgeschichte(n) sehen und erfahren. Wir sind nur ein kleiner Teil von etwas ganz Großem. Ein beruhigendes Gefühl!
– Vorherigen Törnbericht lesen – Nächsten Törnbericht lesen –
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