Juni 2016, Nordatlantik : Es ist dunkle Nacht, und gleich beginnt meine Ruderwache. Doch wie, wie , wie nur soll ich bei diesem Rodeo-Ritt in meine Segelhose kommen? Sobald ich – am Rand meiner Koje sitzend und mit beiden Händen die Hose haltend – ein Bein vom Boden löse, haut mich die nächste Welle um. Ich bin ratlos. :::::
Freitag, d. 24. Juni, Calheta/Madeira – Die Stimmung ist mies, meine Laune ist im Keller. Wir haben eine ruhige Überfahrt erwartet, doch das erweist sich schon zwei Stunden nach der Abfahrt aus Calheta als Illusion. Es erwischt uns ein steifer Wind aus Ost-Nordost, der schnell eine beachtliche Windsee vor sich herschiebt. Der Wind ist im Prinzip nicht schlecht für uns, wir wollen schließlich nach Nordwesten – wenn nur die Nordost-Dünung nicht wäre. TinLizzy saust mit 8 bis 9 Knoten durch eine chaotisch See, in der durch die sich überlagernden Wellensysteme Wasserberge von bis zu vier Metern Höhe entstehen. Wir experimentieren eine Weile mit den Segeln, und schließlich fahren wir mit 2-fach gerefftem Groß und Kutterfock.
TinLizzy läuft immer noch 7,5 Knoten, aber sie bockt gelegentlich wie ein junger Stier. Zu allem Überfluss fällt in einer besonders blöden Welle meine Kamera – eigentlich „sicher“, aber griffbereit in Lee verstaut – in großem Bogen herunter auf den Kajütboden. Kaputt!
Nach einigen Stunden lässt der Wind nach, aber die Welle bleibt. Das ist schlecht, denn bei diesem Geschaukel mag keiner von uns beiden etwas kochen oder auch nur aufwärmen. Essen könnten wir es eh nicht. Wir essen stattdessen Kekse, Bananen und Nüsse.
Ansonsten ist aber alles in Ordnung. Wir hatten uns das nur anders vorgestellt, und angesagt war das so nicht. Wo bleibt nur das Azorenhoch? Hier sind dicke, dunkle Wolken. Das Barometer steigt und steigt. TinLizzy saust und saust.
Samstag, den. 25. Juni, Nordatlantik – Gegen Mittag sehen wir: wir haben ein Etmal von 160 sm geschafft, das ist ein Drittel der Strecke! Das Barometer weist 1028 mbar aus, wir nähern uns dem Azorenhoch. Der Wind weht jetzt endlich so wie angesagt, und die Stimmung an Bord bessert sich. Komisch nur, dass die Wolkendecke nicht aufbrechen will.
Per Kurzwellen-Funk und Airmail bekommen wir von Sohn Felix Wetterinfos. Alles im grünen Bereich! Der Wind wird sich benehmen und uns mit 4-5 Windstärken aus Nordost komfortabel auf einen Halbwindkurs nach Santa Maria bringen.
Wir wärmen uns ein leckeres Essen auf und futtern Canelloni mit Spinat und Ricotta-Käse satt. Als ich um 21 Uhr die erste Nachtwache übernehme, können wir das 2. Reff ausschütten und die Genua setzen. Die Nacht ist ruhig.
Als ich die Wache um 24 Uhr an Jochen übergebe, haben wir Meeresleuchten. TinLizzy rauscht immer noch mit 7 Knoten durch die See und zieht einen Wasserschweif aus Silber hinter sich her. Jede Welle trägt ein kleines Silberkrönchen. Soooo schön !!!
Sonntag, den 26. Juni, Nordatlantik – Ruhige Nacht, ruhiger Morgen, bis auf 1x „umreffen“ nichts passiert. Keine Schiffe, keine Wale, keine Delphine. Wir laufen mit 2-fach gerefftem Groß, manchmal mit Kutter, manchmal mit Genua, auf einem flotten Halbwindkurs. Das Barometer steigt weiter, aber die Wolkendecke will und will einfach nicht aufreissen.
Die Welle hingegen hat sich beruhigt, so dass wir uns morgens ein Luxus-Frühstück mit Eiern und später Hähnchen-Steaks, Pellkartoffeln, Kräuterquark und Salat gönnen. Mann, haben wir einen Hunger! Kein Wunder, denn wir haben wieder ein tolles Etmal von 175 sm geschafft. Damit sind 2/3 der Strecke geschafft. Schnell segeln strengt an!
Leider nimmt der Wind wieder zu. Und obwohl das Barometer unaufhörlich steigt, haben wir immer noch eine dichte Bewölkung. Gelegentlich zieht ein „Sqall“ – eine lokale Tiefdruckstörung – durch. Dann brist es mächtig auf, und manchmal regnet es sogar. Wann verdammt nochmal nähern wir uns endlich dem Hochdruckkern ?
Montag d. 27. Juni, Nordatlantik – Es ist dunkle Nacht, und gleich beginnt meine Ruderwache. Doch wie, wie , wie nur soll ich bei diesem Rodeo-Ritt in meine Segelhose kommen? Sobald ich – sitzend und mit beiden Händen die Hose haltend – ein Bein vom Boden löse, um in die Hose einzusteigen, haut mich die nächste Welle um. Ich bin ratlos. Schließlich stopfe ich – bäuchlings in der Koje liegend – meine Schuhe von oben in die Hosenbeine und krempele die Hose so darum herum, dass ich mit beiden Füssen möglichst breitbeinig gleichzeitig in die Hose und auch in die Schuhe schlüpfen kann. Schwupps – geschafft. Jetzt nur noch die Hosenträger angeln und damit die Hose hochziehen. Funktioniert!
Ich übernehme die Ruderwache von Jochen, der den Autopiloten eingeschaltet und sich auf der Cockpit-Bank ein Lager eingerichtet hat. Bis auf den sich ständig ändernden Wind, der mal auffrischend vorlicher oder aber abnehmend achterlicher komme und deshalb das Ein- bzw. Ausreffen der Genua erfordere, passiere hier gar nichts, erklärt Jochen. Keine Schiffe weit und breit. Auch ich solle mich ruhig ein wenig ausruhen und nur gelegentlich nach dem Rechten schauen. Der AIS-Alarm sei eingeschaltet, es könne nichts passieren. Wenn gerefft werden müsse, solle ich ihn wecken.
Na gut, denke ich. Auch ich lasse den Autopiloten arbeiten und lege mich auf die Cockpitbank. Gelegentlich schaue ich rundum, checke Wind und Segelstellung und kontrolliere auf AIS, ob sich irgendwo in der Ferne gegnerische Schiffe nähern. Irgendwann werde ich müde, denn nichts, aber nichts ist hier los außer viel Wind und viel Rauschen, schsch…. schsch…. schsch…. schsch….
Ich werde wach, als Jochen mich anstubst. Ich habe – im Cockpit schlafend – tatsächlich die große Sause verpennt. Bei satten 6 Windstärken rast TinLizzy mit fast 10 Knoten durch die wilde See, so dass es Jochen im Vorschiff ordentlich durchgeschüttelt hat. Er bekam – zu Recht – Angst um unsere Genua. Ich kann es kaum glauben! Das ist mir noch nie passiert, dass mein Mann eher reffen will als ich!
Wir reffen, was zu reffen ist – und da er jetzt sowieso wach und meine Wache fast zu Ende sei – schickt mein Mann, wie immer Kavalier, mich wieder unter Deck zum Schlafen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen!
Als ich frühmorgens wieder aufwache, ist der Spuk vorbei. Der Wind hat deutlich abgenommen, das Barometer zeigt 1034 mbar. Der Hochdruckkern ist offensichtlich fast erreicht! In der Ferne kommt am Horizont schon Santa Maria in Sicht. Die Sonne scheint!
Irgendwann sind wir so nah, dass wir die Insel riechen können! Santa Maria begrüßt uns mit einem betörenden Duft nach satter Erde, Heumahd und Blumen. Jochen meint, er könne in diesem Duftcocktail sogar frisch gebackene Brötchen ausmachen…
Wir bereiten uns ein letztes Frühstück auf See: schwarzer Tee sowie Bolos mit Schinken und Käse. Santa Maria kommt immer näher.
Wir funken den Hafen an und fragen, ob wir einlaufen können. Die Antwort kommt prompt. Jede Menge Platz! Sie hätten uns schon gesehen auf AIS, wir sollten nur kommen, sie würden uns erwarten. Und so ist es auch. Als wir im Hafen einlaufen, winkt uns schon ein Marinero, zeigt uns unseren Anleger und nimmt die Leinen an.
Dankbar machen wir fest und melden uns im Hafenbüro an. Jetzt erstmal ausschlafen!
– Vorherigen Törnbericht lesen – Nächsten Törnbericht lesen –
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