März 2018, El Hierro, Kanaren – Der Hafen von la Estaca macht sich bereit für die große Sause. Wir sind derzeit das einzige bewohnte Boot im Hafen, doch wir blicken von unserem Cockpit aus auf eine neu erbaute und noch jungfräuliche Anlage von Schwimmstegen für insgesamt etwa 100 Schiffe. Mit Ankunft des großen Schwarms in der kommenden Transatlantik-Saison werden sie sich füllen, denn La Estaca ist kein schlechter Ausgangshafen für den Seeschlag zu den Kapverden :::
Mittwoch, d. 28.Februar 2018, Tazacorte – Mannomann. Das war eine Anreise, die es in sich hatte. Eurowings-Flug gecancelt, im Ersatzflieger (mit kaputter Heizung) bei Minus-Temperaturen den Hintern abgefroren. Die Koffer beim Umsteigen verloren. Ohne Koffer und Wechselklamotten 2 Tage im regnerischen Santa Cruz de la Palma verbracht. Dann, vorgestern, mit Koffern, gerade noch rechtzeitig vor dem ganz großen Regen in Tazacorte das Schiff wieder zu Wasser gelassen.
Donnerstag, d. 1. März 2018, Tazacorte – Es schüttet wie aus Eimern, draußen weht es mit etwa 8 Beaufort, und die Welle ist so hoch, dass die Gischt gelegentlich über die 12m-Mole des Hafens von Tazacorte schwappt. Wir können das Schiff kaum verlassen – und Jochen will es auch nicht. Er ist krank und liegt mit Fieber in der Koje. Im Schiff ist es kalt und feucht. Die Luken können wir nicht öffnen, denn dann tropft es hinein. Mir ist langweilig.
Das hatte ich mir anders vorgestellt!! Warum nur sind wir jetzt hier, wo wir doch in Deutschland so ein schönes, warmes Zuhause haben ??? Ich komme ins Grübeln, meine Laune ist mies, und meine Gedanken grau wie der Himmel:
Als Segler gehören wir zwar – genauso wie Leute mit anderen Hobbies – zur Spezies „Homo Sapiens“. Wir halten uns deshalb in der Regel für weise, gescheit, klug und vernunftbegabt (lat. sapiens ). Doch das könnte ein Irrtum sein!! Schon der Blick ins Biologiebuch zeigt: Wir sind eben AUCH Säugetiere der Ordnung „Primaten“ – also instinktgetriebene Rudeltiere! Könnte das der Grund sein, warum ich unseren Start als völlig verpfuscht empfinde?
Segler und Seglerinnen sind in der Tat stets gerne dort, wo andere auch sind. Wir schließen uns in Segelclubs oder -Vereinen zusammen. Wir zahlen viel Geld dafür, um mit unseren Schiffen dicht an dicht in kleinen, engen Häfen zu liegen. Zwar ist das Wetter in unseren Breiten oft zu schlecht, um zu segeln. Aber das macht uns nichts! Egal ob Ostsee-Törn oder nicht: Abends treffen wir uns in der Kneipe zum Bierchen – und zwar sehr gerne mit denselben Leuten, denen wir schon beim Frühstück vom Cockpit aus zugewunken haben. Wir erzählen uns gegenseitig Geschichten aus unserem Seglerleben, und jedes Jahr zelebrieren wir gemeinsam das An- oder Absegeln. Zwischendurch feiern wir die eine oder andere Stegparty, oder aber veranstalten – als Höhepunkt des Jahres – eine Regatta.
So können wir es als „Rudelsegler“ viele, viele Jahre aushalten, bis es uns – weil Ost- oder Nordsee zu klein geworden sind – hinauszieht in die große, weite Welt.
Das ist der Punkt, an dem wir uns stolz „Blauwasser-Segler“ nennen und fortan mit einer gewissen, milden Erhabenheit auf den gemeinen Rudelsegler hinabblicken („Früher sind wir auch auf dem Ostsee gesegelt “). Wir sind jetzt zum Langfahrtsegler geworden, zählen stolz unsere Seemeilen und berichten in bebilderten Blogs oder in Videos auf Youtube von unseren Erlebnissen. Hierarchisch allerdings haben wir uns damit von den „Primaten“ zu den „Vertebraten“, den Wirbeltieren, zurückbewegt. Wir reihen uns damit neben den Vögeln und den Fischen ein – also bei Tierarten, die gemeinhin in Schwärmen unterwegs sind. Wie wir Segler auch!
Jimmy Cornell, Fahrtensegler-Urgestein und Begründer der modernen Transatlantik-Regatten, hat in seinem letzten Buch „200.000 miles, A Life of Adventure“ untersucht, wohin es uns Fahrtensegler zieht. Seine Zahlen sind eindrücklich.
In jeder Transatlantiksaison (also in der Hurricane-freien Zeit ab November) starten etwa 1200 Schiffe von den kanarischen Inseln aus zu einer Atlantik-Überquerung. Etwas mehr als 500 davon machen vorher auf Madeira Halt. Etwa 700 Schiffe legen mittlerweile einen Stopp auf den Kapverden ein. Die meisten von ihnen wollen in die Karibik, oder aber nach Brasilien. Im Mai allerdings trifft sich der Schwarm dann wieder auf den Azoren. Im Jahr 2015 zählte man dort, in Horta, insgesamt 1232 internationale Yachten, die auf der Durchreise waren. Whow! Das ist ein echter Riesenschwarm, der da im Nordatlantik unterwegs ist!
Es ist nur: Wir, die Crew der TinLizzy, haben unseren Schwarm irgendwo verloren. Wir sind, da die Capitana keine Lust auf die Transatlantik-Passage hatte, im letzten Herbst auf La Palma hängengeblieben. Da war es im Hafen von Tazacorte zwar überfüllt, aber kuschelig. Als wir im Frühjahr wiederkamen, war es plötzlich: LEER. Viel Platz auf allen Stegen! Es ist fast ein wenig einsam.
Dafür tummeln sich die Schiffe jetzt anderswo. In den Blogs unserer Freunde lesen wir von vollen (allerdings teils verdreckten) Ankerbuchten auf den Kapverden und auch in der Karibik. Über 1300 Schiffe sollen in der Bucht von Le Marin (Martinique) gelegen haben, bevor sich das Feld irgendwann lichtete. Na ja. Nicht schön, aber wenigstens regnet es nicht, und einsam fühlt man sich wahrscheinlich auch nicht. Ich wäre jetzt eigentlich doch gerne dort!
Dienstag, d. 13.03.2018, Tazacorte – Die Sonne scheint endlich, und meine Laune ist wieder im Aufwind. Jochen ist topfit, und TinLizzy startklar. Morgen soll es auch bei uns weitergehen, allerdings nicht in die Karibik. Der Ozean hat sich beruhigt, und Wind und Welle passen perfekt für einen 50sm Schlag nach El Hierro, unserer Trauminsel aus dem letzten Herbst. Sie ist wild und unberührt .….
Wir verabschieden uns von Nick und Anne von der Malok, die wir schon im letzten Jahr auf Teneriffa kennengelernt haben, sagen „Tschüss“ zu José und Coen von der „Wildemann“ und zu Patrick von der „Quetzal“, den wir auf den Azoren trafen und der uns nach Tazacorte gelockt hat. Abends treffen wir uns mit Sandra und Bertold von der SY Anyway sowie Norbert von der JuStSo zu einem Abschiedsdrink. Ein letztes Bier bei „Adrinere“ – einer wirklich supernetten Hafenkneipe mit spektakulärem Ausblick auf die Bucht. Wir werden so schnell nicht wieder hierher kommen….
Mittwoch, d. 14.3.2018, El Hierro -Morgens um 8 Uhr legen wir in Tazacorte ab. Es weht ein konstanter Wind von etwa 3 Beaufort aus Nord bei einer Welle von ca. 2 Metern, und wir müssen genau nach Süden. Vorm Wind ist das kein schöner Kurs, denn in dieser Welle flappen bei der der „Abwärtsfahrt“ ständig die Segel. Wir holen die Lappen wieder ein und schmeissen den Motor an. Gegen Mittag allerdings – wir haben La Palma längst hinter uns gelassen – dreht der Wind auf WNW, und jetzt können wir unter Segeln auf einem Halbwindkurs nur so dahin rauschen. Mit bis zu 8 Knoten pflügt TinLizzy durch den Atlantik, den wir für uns allein haben. Lediglich zwei Grindwale kreuzen unseren Weg. Das ist immer, immer wieder ein tolles Erlebnis. Ansonsten ist es um uns herum einsam.
Auf halber Strecke haben wir eine Top-Aussicht. Es ist klare Sicht, und wir sehen Gomera, Teneriffa mit dem Teide, und auch El Hierro am Horizont. Rund um uns herum ist nur Blau, Blau, Blau. Es ist März, und wir segeln im T-Shirt. Alle Unbill ist vergessen. Was für ein Revier !!
Gegen 17 Uhr erwischt uns kurz vor El Hierro die Acceleration. Das kennen wir schon, und wir haben vorausschauend die Segel verkleinert. Mit 2 Reffs lassen wir uns auf einem Raumschotskurs um die nördliche Ecke El Hierros schieben. Wir passieren Tamaduste und Caleta, und machen gegen 18 Uhr in Puerto de la Estaca fest.
Wir können kaum glauben, was wir sehen: In den Wintermonaten hat sich der Hafen total verändert. Wir sind zwar derzeit das einzige bewohnte Boot, aber wir blicken von unserem Cockpit aus auf eine neu erbaute und noch jungfräuliche Anlage von Schwimmstegen für insgesamt etwa 100 Schiffe. Mit Ankunft des großen Schwarms in der kommenden Transatlantik-Saison sollen sie voll werden, denn Estaca ist ein guter Ausgangshafen für einen Seeschlag zu den Kapverden.
Wie schön, dass wir die Insel noch in der Vorsaison erkunden dürfen! Es ist nicht voll, und überall grünt und blüht es. Dies scheint mir ohnehin das beste Rezept für angenehme Kanaren-Törns zu sein. Schwarmsegeln? Ja! Aber auf den Kanaren lieber antizyklisch. Wir reihen uns dann erst auf den Azoren wieder ein!
– Vorherigen Törnbericht lesen – Nächsten Törnbericht lesen –
M | D | M | D | F | S | S |
---|---|---|---|---|---|---|
1 | ||||||
2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 |
9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 |
16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 | 22 |
23 | 24 | 25 | 26 | 27 | 28 | 29 |
30 | 31 |