Juni 2019, Asturien, Cudilleiro – (BW) Nach fast zwei Monaten, in denen wir unentwegt von Bucht zu Bucht gezogen sind, stellt sich bei mir langsam ein leichter Zustand der Verwirrung ein. Ich wache nachts auf und erschrecke mich. Wo sind wir ? Welchen Tag haben wir ?? Und was machen wir morgen ??? Ich brauche eine Segel-Pause …
Samstag, d. 25.05., Ribadeo – Immer noch auf unserem Weg Richtung Osten in die hintere Ecke der Biscaya. Obwohl der Ria von Ribadeo wunderschön ist und auch die Stadt einiges zu bieten hat, sind wir heute weitergezogen. Jetzt beginnt unser Asturien-Abenteuer!
Bis Santander, unserem letzten Etappenziel auf der iberischen Halbinsel, sind es etwa 150 nautische Meilen, und gibt auf diesem Abschnitt nur noch eine einzige richtige Marina – in Gijon. Wir werden deshalb kleinere Zwischenetappen in Flussläufen und Fischerhäfen einlegen.
Schon während der Fahrt bemerken wir, wie sich das Landschaftsbild verändert. Zum einen wird die Küste wilder, die zahlreichen Strände sind oft unzugänglich und von Steilküsten umfangen. Zum anderen scheint es hier – eingebettet in ein sattgrünes, bergiges Hinterland – dennoch viel Industrie zu geben. In Navia jedenfalls, unserer ersten Station nach etwa 30 nm, rauchen die Schlote, und in der Werft wird eifrig gearbeitet. Viele Häuser im Ort haben allerdings schon bessere Zeiten gesehen.
Nach aufregender Einfahrt in die Flussmündung, in der wir zahlreiche Flachs umschiffen müssen, fahren wir zur Anlegestelle für Transityachten. Hier gibt es für Segelyachten nichts – außer einem Schwimmsteg, an dem wir längsseits festmachen. Glücklicherweise müssen wir keine Leinen nachstecken, denn der Steg schwimmt mit der Tide auf und ab. Das ist schon mal viel wert!
Unser geliebtes Galicien liegt jetzt endgültig hinter uns. Jetzt sind wir in „Asturien“. Das kleine Landstück – früher Provinz Oviedo genannt – zählt etwa 1 Million Einwohner, und auch die beiden größten Städte, Oviedo und Gijon, sind nicht gerade Metropolen. Dennoch legen die Asturier – wie auch die Galicier – großen Wert auf ihre Autonomie.
Das mag daran liegen, dass sich Asturien mit Katalonien und dem Baskenland als Keimzelle der iberischen Industrialisierung und als Zentrum der spanischen Arbeiterbewegung sowie des Widerstandes gegen das Franco-Regime sehen darf. Die Opfer, die das forderte, hat man hier bis heute nicht vergessen. Seit der „revolucion de mineras“ , einem Aufstand der Minenarbeiter im Jahr 1934, der von den Truppen des späteren Diktators Franco blutig niedergeschlagen wurde, sind zwar viele Jahrzehnte vergangen. Eine diffuse Abneigung gegen das „Zentral-Spanische“ ist aber geblieben. Gesprochen und auch geschrieben wird demzufolge gerne „Asturisch“, ein Dialekt, der sich genau wie das galicische „Gallego“ vom zentral-spanischen „Castillano“ deutlich unterscheidet. Wir haben damit unsere liebe Mühe und verstehen in der Regel gar nichts!
Gegen Abend begrüßt uns am Steg ein Vertreter des örtlichen Yachtclubs. Er erklärt uns die Tücken der Ein- und Ausfahrt in den Fluss und weist uns auf die zahlreichen neu hinzugekommenen Flachs hin, die bei Niedrigwasser fast trockenfallen und dennoch schlecht zu sehen sind. Schließlich übergibt er uns ein Anmelde-Formular, das wir ausfüllen und später im Yachtclub in den Briefkasten werfen sollen. So einfach geht das! Eine Hafengebühr kassiert er nicht.
Wir freuen uns auf eine ruhige Nacht am Schwimmsteg und hauen uns früh in die Koje.
Sonntag, d. 26.05., Navia – Von wegen, ruhige Nacht! Gegen 0:30 Uhr von einem lauten Krachen aufgewacht. Was ist das denn? Das ist Adrenalin pur! Wir springen aus der Koje und checken die Lage.
Entwarnung. Es ist nur Feuerwerk. Am Ende des Schwimmsteges steht ein junger Mann und schießt eine Rakete nach der anderen in den Himmel. In der Stadt wird irgendwas gefeiert – wir haben es verpennt. Gegen 1:00 Uhr ist das Ganze vorbei, nur wir, wir sind jetzt hellwach und brauchen Stunden, bis wir wieder schlafen können.
Morgens lassen wir uns Zeit, doch wir wollen weiter. So richtig schön ist die Stadt nicht. Gegen 11:30 Uhr legen wir ab – und müssen, da wir schon halbe Tide haben, wieder auf die zahlreichen Flachs aufpassen, die sich im Flusslauf gebildet haben. Nur nicht auflaufen, denn dann säßen wir mindestens 6 Stunden bis zur nächsten Tide fest!
Schon um 12 Uhr ist es geschafft. Wir sind in freiem Wasser und können Segel setzen. Leider ist wenig Wind, der auch noch schräg von achtern kommt. Für diese laue Brise sind die Wellen mit etwa 2 Metern unangenehm hoch. Das ist mehr Schaukeln als Segeln und macht keinen Spaß. Bis Gijon (60 nm) kämen wir auf diese Art und Weise heute nicht. Die nächste Haltestelle heißt deshalb Cudilleiro.
Montag, d. 27.05., Cudilleiro – Seit gestern liegen wir vor riesigen Felswänden im kleinen Hafen von Cudilleiro an einer Mooringtonne. Außer uns ist hier nur eine französische Segelyacht und jede Menge Fischerboote.
Mit dem Dinghi können wir hier leicht anlanden. Vom Ufer aus führen zahlreiche Treppen mit Geländer den Felsstrand hinab. Hier können wir das Dinghi – die Tide immer im Blick – festmachen und zur Uferpromenade hochklettern. Das Hafenbüro hat nicht geöffnet, und deshalb ist unser Liegeplatz wieder kostenlos.
Cudilleiro, ein alter Fischerort, liegt sehr malerisch am Hang. Bei Sommer-Sonnen-Wetter muss es hier sehr schön sein. Im Ort gibt es zahlreiche kleine Touristen-Kneipen und Restaurants. Heute ist es leer. Es ist Vorsaison, und außerdem regnet es. Mit uns ist eine spanische Schulklasse unterwegs, die mit fröhlichem Geschrei durch die engen Gassen am Hang zieht.
Auch hier in Cudilleiro nagt an vielen Häusern der Zahn der Zeit. Überall Leerstand und viele „se vende“-Schilder – anscheinend zieht es die jungen Leute anderswo hin. Fehlen die Jobs? Wahrscheinlich. Der lokale Tourismus bringt einfach nicht genug Geld, denn die Leute haben selber keines!
Dienstag, d. 28.05., Gijon – Wieder eine Sch…-Nacht gehabt. Irgendwann um 4 Uhr völlig verdattert aufgewacht, weil ein paar Fischer mit Krawumm an uns vorbeifahren und TinLizzy ordentlich ins Schaukeln bringen. Nach fast zwei Monaten, in denen wir unentwegt von Bucht zu Bucht gezogen sind, stellt sich bei mir langsam ein leichter Zustand der Verwirrung ein. Ich wache nachts auf und frage mich: Wo sind wir ? Welcher Tag ist heute ?? Und was machen wir morgen nochmal ??? Jochen geht es ähnlich. Wir brauchen eine Segel-Pause!
Gleich morgens um 10 Uhr brechen wir deshalb nach Gijon auf, wo wir etwas länger bleiben und uns ausruhen wollen.
Sieben Stunden und 33 Seemeilen später sind wir da. Die Marina von Gijon liegt in der Altstadt direkt vor dem Hausberg der Stadt, der „Alta de Santa Catalina“. Ein Marinero, per Funk über unsere Ankunft informiert, empfängt uns schon vor dem Hafen mit seinem Motorbötchen und lotst uns direkt zum Anleger, wo er unsere Leinen annimmt. Die Marina ist fast leer!
Im Büro sind alle sehr nett – und hocherfreut, dass wir eine Woche bleiben wollen. Eine junge Dame gibt mir einen Überblick, was wir in Gijon und im Umland alles machen könnten. Wir kommen ins Gespräch.
Sie erzählt mir, dass historische Quellen hier – in Asturien – den Ursprung der spanischen Reconquista verorten, also die „Wiedereroberung“ der iberischen Halbinsel durch die Christen im frühen Mittelalter. Der Ort, an dem nach der Legende alles begann, liege in den Bergen, den Picos de Europa.
In der Nähe der Felsenhöhle von Covadonga habe eine Truppe aufmüpfiger Asturier im Jahr 722 unter der Führung des Gotenkönigs El Pelayo (Pelagius) eine eigentlich überlegene maurische Streitmacht in die Flucht geschlagen. Deshalb gäbe es auch hier in Gijon direkt vor dem Plaza Mayor ein großes Denkmal. Aha!
Abends ziehen wir zum Abendessen in die Stadt. Direkt in Sichtweite des alten Königs sitzen wir im warmen Sommerwind auf der Terasse des Restaurants „El Palacio“, blicken auf den Hafen und planen die nächsten Tage. Wir werden uns einen Mietwagen nehmen und die Picos erkunden. Der Wetterbericht sagt für mehrere Tage Sonne, sommerliche Temperaturen und gute Sicht voraus! Etwas Landleben und ein wenig Wandern wird uns gut tun!
Freitag, d. 31.5., Fuente De – Sind jetzt in den Picos. Mit dem Mietwagen haben wir einen Rundkurs eingeschlagen. Von Osten her, schon in Kantabrien, fahren wir in den Nationalpark Picos de Europa hinein. Ganz im Südosten, in Fuente De, liegt unser Hotel, das „Parador“. Hier werden wir eine Nacht verbringen.
Von hier aus fahren wir mit der Seilbahn hinauf in das Hochland, um von dort wieder abwärts zu wandern. Die Bergwelt der Picos ist einmalig – und in weiten Teilen völlig wild und unberührt geblieben. Mit uns sind natürlich noch andere Besucher hier unterwegs – aber der „Massentourismus“ beschränkt sich auf wenige Orte. Wer abseits der großen Pfade unterwegs ist, wird ganz, ganz viel unberührte Natur finden. Ein Paradies für Wanderer! Die Aussichten, die sich uns bieten, sind spektakulär…
Montag, d. 03.06., Gijon – Nach zahlreichen Ausflügen und Landerkundungen nähert sich unser Aufenthalt in Gijon dem Ende zu. Die Stadt ist fantastisch – und sie hat, obwohl sie nicht mal 300.000 Einwohner zählt, dennoch urbanes Flair.
Noch mehr als Gijon haben uns allerdings die Picos de Europa begeistert.
Sind schon seit vorgestern wieder zurück im Hafen bei TinLizzy, doch wir denken immer noch oft an die Erlebnisse in den Bergen zurück. Wie eigenartig, dass es nicht mehr Besucher hierher zieht!
Trotz des tollen Umfelds bleibt es in der Marina von Gijon ziemlich leer. Zwar haben sich mittlerweile außer uns noch einige französische und britische Segler sowie auch eine deutsche Yacht hierher verirrt, insgesamt ist aber ausgesprochen wenig Betrieb. Gijon liegt wohl zu weit abseits und neben der großen Spur, welche die Fahrtensegler durch die Biscaya ziehen. Die meisten laufen auf ihrem Weg in den Süden direkt nach A Coruna. Sie lassen Asturien aus, so wie wir es auf dem Hinweg auch gemacht haben. Ein Versäumnis, wie wir jetzt feststellen!
Es gibt hier – „neben der Spur“ – noch ganz viel zu entdecken ….
– *Vorherigen Törnbericht lesen* – Nächsten Törnbericht lesen –
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