Juni 2017, Tenerife, Kanaren – Wir können, auf welchen Aussichtspunkt wir auch steigen, den Teide nicht entdecken. Irgendwo dort im Südwesten müsste er sein, der „heilige Berg“ der Guanchen. Komisch: Wir sahen den Teide, mit 3700 m der höchste Berg Spaniens, schon von La Palma aus. Wir sahen ihn, als wir mit Kurs Lanzarote an der Insel vorbeisegelten, und auch von den Gipfeln Gran Canarias war er immer zu erkennen. Nur hier, auf Teneriffa, zeigte er sich bisher noch nie ::::
Freitag, d. 2.6. Santa Cruz de Tenerife -Teneriffa, so las ich kürzlich, hat etwa eine Million Einwohner, die vor allem vom Tourismus leben. Insgesamt fünf Millionen Besucher kamen im Jahr 2016 auf die Insel. Der typische Teneriffa-Tourist ist 42 Jahre alt, gibt im Schnitt 100 € pro Tag aus und bleibt acht Tage lang auf der Insel. Dabei verbraucht er 400 l Wasser pro Tag.*)
Mannomann. Da bekomme ich fast ein schlechtes Gewissen! Wir Yachties bleiben zwar in der Regel länger als acht Tage – aber wir geben, weil an Bord lebend, viel, viel weniger Geld aus. Ganz schlimm wird es, wenn wir vor Anker liegen! Dann reichen uns glatt 5 Euro pro Person und Tag! Der Beitrag der Fahrtenseglergemeinde zum tinerfensischen Brutto-Inlandsprodukt ist also gering, und ich verstehe langsam, warum es um die Infrastruktur für Segler hier nicht zum Besten bestellt ist. Es rechnet sich einfach nicht!
Viele Segler gibt es hier sowie nicht. Die Marina in Santa Cruz de Tenerife ist in diesen Tagen (Nebensaison, Juni) halb leer. Das ist erstaunlich, denn die Anlage ist nicht schlecht, und sie liegt in unmittelbarer Nähe der Stadt.
Santa Cruz de Tenerife ist bezaubernd! Wir finden überall wunderschöne alte Gassen, und unser Weg zu den Geschäften und Restaurants führt uns vom Hafen aus jedes Mal durch schattige, grün-gesäumte Passagen und liebevoll gestaltete Plätze. Santa Cruz gefällt uns als Stadt eindeutig besser als Las Palmas de Gran Canaria.
Blöd ist nur, dass durch den naheliegenden Fährhafen bei Nordwind oft ein unangenehmer Abgasgeruch in der Marina steht. Die großen Fähren lassen stundenlang den Generator laufen, und die Feinstaubbelastung der Luft kann man riechen, sehen und ertasten. Schon nach wenigen Tagen liegt auf Deck der TinLizzy ganz viel feiner, grauer Staub. Normalerweise ist unser Wasserverbrauch an Bord gering. Hier in Santa Cruz aber genehmigen wir TinLizzy alle 2-3 Tage eine kleine Decks-Dusche, Jochen besteht darauf. An diesen Tagen nähern wir uns der 100 l-Marke …..
Samstag, d. 3.6. Santa Cruz de Tenerife – Besuch im Naturkunde-Museum. Dort gibt es mehrere tolle Ausstellungen über Entstehung, Geologie und die Besiedlungsgeschichte Teneriffas bzw. der Kanarischen Inseln. Wir lernen wieder jede Menge! Besonders beeindruckend finde ich die archäologische Abteilung. Dort gibt es nicht nur uralte Artefakte, sondern auch – es ist ein wenig gruselig – viele mumifizierte sterbliche Überreste der tinerfensischen Ureinwohner zu sehen. Wie klein sie waren! Echte Zwerge waren sie, die „Guanchen“, im Vergleich zu uns, den heutigen Durchschnittstouristen. Und 42 Jahre alt sind wohl nur wenige geworden. Ich bin beeindruckt, traue mich aber nicht, Fotos zu machen. Irgendwie kommt es mir vor, als würde ich die „Grabesruhe“ stören …..**)
Die Guanchen sind wahrscheinlich ab dem 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung mit Binsenbooten aus Nordafrika und Südwest-Europa auf die Kanarischen Inseln gekommen. Sie lebten hier auf steinzeitliche Art und Weise in Höhlen oder Rundhütten von Fischfang, Jagd und primitivem Ackerbau. Der Teide war ein „Heiliger Berg“, und dort wohnte in einer Höhle der Dämon Guayota, der die Guanchen gelegentlich durch Vulkanausbrüche bestrafte. Im Mittelalter gab es vermutlich etwa 70.000 Guanchen auf den Inseln, doch mit der gewaltsamen Eroberung der Kanaren durch die Spanier im 15. Jahrhundert endete ihre Ära. Sie wurden umgebracht, versklavt oder verschleppt. Nur wenige Elemente ihrer Kultur bzw. ihrer Sprache haben die Jahrhunderte überlebt, so z.b. „El Silbo“, eine Pfeifsprache, die heute noch auf La Gomera „gepfiffen“ wird. Schade, dass wir dieses Museum nicht vor unserem Besuch auf La Palma besichtigt haben. Ich hätte die Höhlen von Buracas dann mit anderen Augen angeschaut!
Sonntag, d. 4.6., Anaga-Gebirge, Tenerife – Heute haben wir mit dem Mietwagen den Nordosten der Insel erkundet. Das Anaga-Gebirge, das wir vor einigen Tagen von unserer letzten Ankerbucht am Playa de Antequera gesehen haben, hat uns neugierig gemacht. Wir finden im Nordosten eine wildzerklüftete Küste mit wenig Bebauung, dafür gibt es saftig grüne Steilhänge und teilweise riesige Areale von Lorbeerwäldern, in denen man sich fast wie im Dschungel fühlt. Hier kann man Erdgeschichte „atmen“, und käme hier ein Dinosaurier um die Ecke, dann würden wir uns nicht wundern!
Tatsächlich gehört der Inselnorden zum geologisch ältesten Teil der Insel, und die Entstehungsgeschiche, von der wir gestern im Museum erfahren haben, kann man überall erkennen: Vor etwa 20 Millionen Jahren entstanden durch die Drift der Kontinentalplatten über einem „Hotspot“ mehrere Inseln vulkanischen Ursprungs, so auch Teneriffa. Zuerst wuchsen das (nördliche) Anaga-Gebirge und das westliche Teno-Gebirge aus dem Ozean, und erst nach weiteren vulkanischen Eruptionen, die ein „Cumbre Dorsal“ entstehen ließen, verbanden sich die beiden Gebirge zu einer Insel. Terneriffa in seiner heutigen Form konstituierte sich irgendwann vor 12 bis 7 Millionen Jahren. Eine unvorstellbar lange Zeit!
Doch eines wundert uns: Wir können, auf welchen Aussichtspunkt wir auch steigen, den Teide nicht entdecken. Irgendwo dort im Südwesten müsste er sein, der „heilige Berg“ der Guanchen . Es ist komisch: Wir sahen den Teide, mit 3700 m der höchste Berg Spaniens, schon von La Palma aus. Wir sahen ihn, als wir mit Kurs Lanzarote an der Insel vorbeisegelten, und auch von den Gipfeln Gran Canarias war er immer zu erkennen. Nur hier, auf Teneriffa, zeigte er sich bisher nie. Stets war er in Wolken gehüllt oder aber von anderen Gipfeln verdeckt. Wir fragen uns mehrmals: Wo ist nur der Teide?
Zum Ausklang des Tages fahren wir noch an den Playa de las Teresitas ein paar Kilometer nördlich von Santa Cruz. Der Strand ist künstlich angelegt, in den 70ern wurde hier heller Sand aus der Sahara herangeschafft und durch eine lange Steinmole vor der Atlantikbrandung geschützt – dennoch ist es sehr nett hier. Wegen der Mole gibt es kaum Welle, das Wasser ist klar, und der Strand ist nicht überfüllt, denn er ist kilometerlang. Wir leisten uns zur Erholung zwei Liegen mit Sonnenschirm und schlafen eine Runde, bevor wir wieder zu TinLizzy in den Hafen heimkehren.
Montag, d. 5.6., La Laguna, Tenerife – Es geht nochmal in den Inselnorden. Heute werden wir uns den westlichen Teile der Nordküste vornehmen. Meine Eltern verbrachten vor vielen, vielen Jahren einen Urlaub in „Bajamar“ und waren von der wilden Felsküste und den schönen Bergdörfern begeistert.
Wir fahren zunächst direkt nach Bajamar. Die Fahrt dorthin ist wirklich abwechslungsreich und wir passieren hübsche Dörfer und grüne Täler. Bajamar selbst aber hat seine besten Tage hinter sich. Hier wurde in den 70ern zu viel und zu hoch gebaut, und alle diese Ferienanlagen wirken mittlerweile einfach alt und unattraktiv. Dieser (Ferien-)Ort wird wahrscheinlich mit seinen Stammgästen altern und sterben! Dennoch muss der Ort noch seine Fans haben, denn trotz schlechten Wetters baden im maritimen Felsbassin ein paar Unverdrossene. Der Hautfarbe nach müssen es Touristen sein, die von der 8-Tages-Marke noch weit entfernt sind. Ihr Badegang ist ganz schön mutig, denn die Wellen schlagen hoch und platschen teilweise mit viel Getöse in die Bassins. Wie hoch die Wellen draußen sind, sehen wir wenige Meter weiter am von einer Mole geschützten Strand. Dort spritzt die Gischt meterhoch…
Noch trauriger als in Bajamar wirkt die Kulisse, wenn wir weiter nach Norden schauen. Am „Punta de Hidalgo“ reiht sich ein Hochhaus an das andere. Wir sparen uns deshalb den weiteren Weg zum Kap und besuchen stattdessen das Bergdorf Tegueste und die alte Inselhauptstadt La Laguna. Beide Orte sind einen Besuch wert! Teneriffa ist anscheinend, wie Gran Canaria auch, im Inneren am schönsten!
Dienstag, d. 6.6., Punta Roja, Tenerife – Heute geht es mit TinLizzy weiter in den Süden der Insel. Obwohl uns unser Stegnachbar vor stürmischen Winden in der noch stark ausgeprägten „Acceleration Zone“ an der Küste warnt, wollen wir heute noch unter Segel Richtung Punta Roja. Dort soll man auch bei Nordost-Wind ankern können, und das wollen wir ausnutzen. Wenn der Wind dann morgen nachlässt, sind wir schon dort vor Anker, bevor es voll wird.
Um 10 Uhr legen wir ab, verlassen den Hafen und gehen auf Südkurs. Schon nach einer Stunde kommen wir in die Acceleration. Statt 4 Windstärken haben wir jetzt 6, aber da wir einen Raumschotkurs laufen können, stört uns das nicht. Im Gegenteil: TinLizzy rauscht nur unter Genua nur so dahin, und wir haben teilweise 10 Knoten auf der Geschwindigkeitsanzeige.
Wir sausen an Teneriffas Ostküste entlang in Richtung Süden. Es geht recht rauh zu, deshalb kommen wir kaum zum Gucken, geschweige denn zum Fotografieren. Besonders schön ist es hier aber eh nicht. Direkt südlich von Santa Cruz und auch weiter unten am südöstlichen Zipfel finden sich riesige Industrieanlagen, Ladekais für Tanker, Gasspeicher, Kraftwerke und Windkraftanlagen. Hier entsteht die Energie, die benötigt wird, um jährlich 5 Millionen Touristen bei Laune zu halten, für sie Schwimmbäder zu beheizen und Golfplätze zu bewässern.
Gegen 14 Uhr haben wir Punta Roja gerundet und gehen im Schutz des Montana Roja vor dem Playa de Tejina vor Anker. Wir haben die Bucht wie erwartet für uns allein. Und, welch ein Glück, wir haben endlich Ausblick auf den Teide. Keine Wolken, keine Berge versperren den Blick. Hier ist er, der heilige Berg der Guanchen. Groß , behäbig und breitfüßig steht er da, und die gewaltigen Airbusse, die etwas alle 20 Minuten auf dem nahen Flughafen Teneriffa-Süd landen und starten, wirken vor diesem Koloss wie klitzekleine, putzige, summende Libellen.
Alles ist eine Frage der Relationen.
Ich muss nachdenken. Was, wenn wir das Inselleben mal mit den Zeitmaßstäben der kanarischen Geologie betrachten? Würde man das Alter der Kanarischen Inseln (diese unvorstellbaren 20 Millionen Jahre) auf das Alter eines kanarischen Durchschnittstouristen (runden wir es auf fünfzig) herunterbrechen – was käme dann dabei heraus?
Auf Teneriffa passiert die ersten 32 Jahre: NICHTS. Unser Tourist hätte lediglich auf Fuerteventura, später Lanzarote oder auch Gran Canaria unterkommen können. Dann aber, mit 32 Jahren, formieren sich das Anaga und das Tenos-Gebirge sowie der mittlere Kamm der heutigen Insel Teneriffa. Die Entstehung des Teide kann unser Tourist aber erst mit 49 Jahren beobachten. Leider ist er dabei allein, denn es gibt keine anderen menschlichen Bewohner.
Erst drei Tage vor seinem 50. Geburtstag siedeln sich die ersten Guanchen auf der Insel an. Hurra! Einen Tag später beginnt er, die Tage in einem Kalender aufwärts zu zählen.
Am Nachmittag vor seinem 50-sten kommen spanische Eroberer auf die Insel. Binnen weniger Stunden werden sie heimisch und vermehren sich explosionsartig. Und ganz spät nachts, kurz vor Mitternacht, da taucht für etwa 3 Sekunden kurz die Segelyacht TinLizzy auf.
So ist das. Unser 2-wöchiger Aufenthalt ist – erdgeschichtlich betrachtet – nicht mehr als ein Wimpernschlag.
Hier, im Teide, sitzt Guayota derweil in seiner Höhle. Er weiß: Die Guanchen sind viel, viel näher, als wir denken! Von der Steinzeit trennt uns nur eine Tagesetappe!
– Vorherigen Törnbericht lesen – Nächsten Törnbericht lesen –
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