August 2015, St. Petri: Es ist 4:30 Uhr, dunkler Morgen. Wir liegen in der Lagune von St. Petri an der Mooringtonne und wollen gerade mit Tochter Hanna und Sohn Felix zum Ufer übersetzen, um sie zum Flieger nach Jerez de la Frontera zu bringen. Da rauscht plötzlich, keine zehn Meter neben uns, eine riesige rot-blinkende Tonne vorbei, schrammt an der Nachbaryacht entlang und taumelt dann – immer noch blinkend – in der strudelnden Tide weiter flussaufwärts. „Das müssen wir melden“, meint Skipper Jochen und schaut mich auffordernd an. Mein Spanisch ist zwar besser als seines, aber dennoch lausig – insbesondere um 4 Uhr morgens. Mit Herzklopfen hänge ich mich an die Funke – und, ich kann mein Glück kaum fassen, werde vom Hafenbüro sofort empfangen und verstanden. Sie wollen sich kümmern. Hoffentlich, denn in einer knappen Stunde wird die Tide kentern! Und dann wird das rote Riesenmonster im Strom wieder bei uns vorbeisausen ! :::::
Freitag, den 21.8. – Rota: Die Welt ist wunderbar! Gestern mit guten alten Freunden nach Playa de la Puntilla gesegelt. Heute, in Rota, werden wir Sohn Felix an Bord nehmen. Er kommt – ebenso wie Tochter Hanna – für einige Tage zu uns, um auf TinLizzy am 28. August seinen und Jochens Geburtstag zu feiern.
Samstag, den 22.8. – Rota: Felix ist da! Spät in der Nacht ist er angekommen, sein Flieger hatte Verspätung. Dennoch stehen wir früh auf. Eine kleine Stadtführung, einige Einkäufe im Mercado Municipal, und dann machen wir uns auf den Weg in den Rio de San Pedro. Dort – nicht weit von Cadiz und direkt vor dem Gelände der Universität – gehen wir vor Anker. Der Rio de San Pedro ist ein magischer Ort: Die Einfahrt ist wegen einer Sandbarre so flach, dass Segelschiffe oder größere Motorboote dort in der Regel nicht hineinkommen. Es ist also einsam dort, und wir liegen am Rande eines Naturschutzgebietes vor zwei Ankern.
Die Atmosphäre am Abend ist einmalig. Es rauscht, zwitschert, zirpt und plätschert überall, und riesige Schwärme von Fischen ziehen durch den Strom. Natur pur also – und sähe man nicht im Westen die Skyline von Cádiz, dann wähnte man sich irgendwo im Paradies.
Montag, den 24.8. – Rio de San Pedro: Mist!! Schon wieder Ärger mit dem Schiff. Wir hatten schon Hoffnung, wir hätten endlich alle Kinderkrankheiten durch. Pustekuchen. Heute morgen beim Ablegen erwischt es uns wieder mal. Wir haben schon beide Anker gelichtet und wollen gerade flussabwärts rauschen, da hören wir plötzlich ein lautes Rumpeln und merken: Unser Schiff fährt nur noch rückwärts!! Egal, in welche Richtung wir den Gashebel schieben – TinLizzy will nicht in Vorausfahrt gehen! Was ist das denn?????
Glücklicherweise haben wir mit Felix einen angehenden Maschinenbauer an Bord. Wir werfen also erneut den Anker und gehen auf Fehlersuche. Getriebegestänge? Intakt. Getriebe? Funktioniert. Welle? Dreht, und zwar wie sie soll – linksrum und rechtsrum. Kann also nur am Propeller liegen. Wieder mal heisst das: tauchen.
Diesmal gibt es glücklicherweise keine Quallen, nur die starke Strömung macht es für Jochen und Felix schwierig, sich unter Wasser an der richtigen Stelle zu halten. Wir spannen deshalb mittschiffs ein Tau, an dem sie sich festhalten können. Schon bald ist der Fehler gefunden: Der Propeller – ein Faltpropeller – ist blockiert. Leider hilft uns diese Erkenntnis nicht weiter, denn Jochen und Felix können die Propellerblätter nicht lösen. Irgendwas hakt ganz gewaltig.
Jochen möchte verständlicherweise nicht im Rückwärtsgang aus dem Fluss fahren – insbesondere, weil es immer lauter rumpelt und er weitere Schäden befürchtet. Was tun? Wir beratschlagen hin und her und bestellen schließlich für den nächsten Tag in Puerto Sherry den Abschleppdienst.
Jetzt müssen wir nur noch irgendwie Tochter Hanna an Bord bekommen. Wir wollten sie eigentlich im Hafen von Rota aufsammeln, jetzt lotsen wir sie per SMS und Smartphone – Google Maps sei Dank – an den Haupteingang der Uni am Ufer des Rio de San Pedro. Felix und ich setzen mit dem Dinghi über, machen es in der Nähe der Uni mit dem Anker fest und waten durch den Modder ans Ufer und zur Straße. Dort – an der Bushaltestelle – wartet wie verabredet schon Hannas Taxi. Mit Rucksack und Taschen geht es zurück zum Dinghi und an Bord. Dort müssen sich erstmal alle eine dicke Schlammschicht von den Beinen spülen.
Dienstag, den 25.8., Puerto Sherry: Glück gehabt!!! Heute mittag kommt tatsächlich der „Abschleppdienst“. Ein Motorboot nimmt uns an den Haken und schippert mit uns aus dem Fluss und quer über die Bucht von Cádiz zur Marina „Puerto Sherry“. Dort gibt es Mechaniker, die unseren Propeller reparieren oder auswechseln können. Schon für den nächsten Tag bekommen wir einen Termin im Kran, so dass TinLizzy aus dem Wasser und zur Inspektion kann!
Dennoch ist die Stimmung etwas gedrückt. Hanna und Felix haben nur eine Woche Urlaub – würden wir die jetzt im Hafen verbringen müssen? Wir versuchen, das Beste daraus zu machen. Der Strand von Puerto Sherry ist schön (aber voll). Die Altstadt von Puerto de Santa Maria ebenso. Abends tobt dort das Leben….
Mittwoch, den 26.8., Puerto Sherry: TinLizzy hängt im Kran, und der Mechaniker hat das Problem eins, zwei, drei: behoben. Im Inneren des Faltpropeller fehlte das Schmierfett. Unsere Schuld. Wir haben zwar alle möglichen anderen beweglichen Teile regelmäßig gewartet und gefettet. Nur den Propeller, den haben wir vergessen. Glücklicherweise ist nichts kaputt, und ein wenig neue Schmiere wirkt Wunder.
Gegen Mittag sind wir schon wieder startklar. Wir laufen aus, queren die Bucht von Cádiz und nehmen Kurs auf den Puerto de America. Unterwegs treffen wir auf eine Delfinschule – endlich! In dieser Saison haben wir bisher noch nie Delfine gesichtet. Tochter Hanna – großer Delfin-Fan – ist hochzufrieden!!!
Wir segeln – Tochter Hanna steht Delfine suchend am Ruder – noch ein wenig auf und ab. Gegen 20 Uhr machen wir im Hafen fest. Jetzt ist Felix am Ruder. Auch er fährt das Manöver wie ein Alter, obwohl TinLizzy wegen des Doppelruders in langsamer Fahrt wahrlich nicht einfach zu manövrieren ist!
Donnerstag, den 27.8., Cádiz/ St. Petri: Wieder eine kleine Panne. Das Geburtstagspaket für Jochen und Felix – bei Amazon mit Lieferung nach Cádiz bestellt, ist dort nicht angekommen. Irgendwer im Hafenbüro hat gepennt und die Lieferung abgewiesen, obwohl wir sie per Email angekündigt hatten. Mittlerweile ist das Paket schon wieder auf dem Weg zurück zum Versender. Mein Spanisch reicht nicht aus, um mich mit dem Telefonsupport von UPS zu streiten. Im Hafenbüro sind sie ganz kleinlaut und bieten mir Hilfe an, aber auch ihnen gelingt es nicht, irgendwie an dieses Paket zu kommen. Wir ziehen also nochmals in die Stadt und kaufen ein anderes Geschenk ….
Ihren Geburtstag wollen Jochen und Felix vor Anker feiern. Am frühen Nachmittag legen wir ab und nehmen Kurs auf die nächste Lagune. In St. Petri – einem Naturhafen vor einer ehemaligen Thunfisch-Fangstation – gehen wir vor Anker. Weil Springtide ist und die Strömung gewaltig rauscht, werfen wir sicherheitshalber noch einen zweiten Anker aus.
Freitag, den 28.8., St. Petri: Doppel-Geburtstag. Morgens „Bescherung“ und ein Luxus-Frühstück mit Eiern und frischem, selbst gebackenem Brot. Wir genießen das Ankerleben, gehen an den Strand und zum Schwimmen. Von Bord aus aber ist das Baden eine Herausforderung: Der Tidenstrom ist so stark, das man sich schwimmend kaum hinter dem Boot halten kann. Hanna bastelt uns aus Fendern und Leinen eine kleine „sichere Badebucht“. So können wir nicht verloren gehen ….
Abends setzen wir mit dem Dinghi in den Ort St. Petri über. Leider hat der Wind ordentlich zugelegt. Es weht ein deftiger Süd-Oster. Wir werden in der Welle patschnass, und beim Abendessen will es nicht so richtig gemütlich werden, denn unsere Kleider trocknen nur langsam. Glücklicherweise ist der Wind warm wie ein Fön.
Samstag, den 29.8., St. Petri: Whow. Der Wind nimmt weiter zu. Aus einer (angekündigten) vorübergehenden Störung ist ein ausdauernd kräftiger Levante geworden. Es bläst mit bin zu 34 Knoten. Außerdem ist Springtide, und auch die Strömung wird immer stärker Für die Nacht sind bis zu 40 Knoten angesagt. Es rauscht und rauscht, und wir bekommen Angst um unsere Anker. Werden sie halten? Glücklicherweise ist in St. Petri eine Mooringtonne frei, das haben sie uns gestern abend schon beim Anlegen im Hafen erzählt.
Per Funk frage ich an, ob wir an eine Tonne wechseln können. Wir haben Glück. Am Nachmittag bei Stillwasser lichten wir die Anker. Das ist nicht leicht, denn unser zweiter Anker hat sich unter der Last so tief in den Grund eingegraben, dass wir ihn kaum herauskriegen können. Ihn vom Dinghi aus hochzuholen, ist unmöglich. Per Hand ist es nicht zu schaffen, und der Motor zieht eher das Dinghi unter Wasser, als das man den Anker herausbrechen könnte. Die Jungs haben schwer zu schuften, während Hanna und ich das Boot sichern. Schließlich gelingt es doch: Wir ziehen den Anker über TinLizzy´s Heckklampe und fahren in Rückwärtsfahrt darüber, um ihn auszubrechen.
Geschafft. Jetzt geht es an die Mooringtonne, da liegen wir sicher.
Sonntag, den 30.8., St. Petri: Der Wind will einfach nicht weniger werden. Wir beschließen, noch eine weitere Nacht in St. Petri an der Tonne zu bleiben. Hanna und Felix, die am Montag ganz früh zum Flughafen müssen, werden wir von hier aus nach Jerez de la Frontera bringen.
Wir nehmen uns einen Mietwagen und erkunden Chiclana de la Frontera, die nächste größere Stadt. Dort finden wir auch einen Supermarkt, der sonntags geöffnet hat. Wir kaufen ein und fahren zurück an Bord, um uns ein leckeres Abschiedsessen zuzubereiten.
Leider sieht TinLizzy aus wie nach einer Fango-Packung. Der Levante hat jede Menge Wüstensand mitgebracht – und Regen, Regen, Regen. Überall ist Schmadder. Während Hanna uns in der Pantriy einen leckeren Salat zaubert, wird an Deck geschrubbt.
Das Abendessen ist lecker, aber die Putzaktion nur von kurzzeitigem Erfolg. Es regnet immer noch ein wenig, und schon bald liegt überall wieder ein gelb-brauner, rutschiger Schmierfilm.
Montag, den 31.8., St. Petri: Frühmorgens um 6 Uhr müssen wir am Flughafen sein. Um vier Uhr stehen wir auf, es ist noch dunkle Nacht. Draußen ist es nass und neblig, denn der Wind hat nachgelassen. Was da rauscht, ist nur noch der Tidenstrom, oder? Was ist das !?
Wir mögen kaum glauben, was wir sehen: Im Tidenstrom kommt – rot blinkend – eine Fahrwassertonne auf uns zu. In knappen 10 Meter Entfernung saust sie an uns vorbei. Wir haben Glück, denn sie erwischt nicht uns, sondern das Nachbarschiff… Per Funk geben wir im Hafenbüro Nachricht, dass eine Fahrwassertonne abhanden gekommen ist und flussaufwärts zieht. Wir fragen uns: Wann wird sie wieder flussabwärts treiben? Stillwasser ist in einer Stunde….
Jochen bringt Hanna und Felix zum Flughafen, und ich bleibe an Bord. Das ist mir ganz recht, denn ich hasse Abschiede, und ich hätte mir schwer die Tränen verkneifen müssen am Flughafen. Der Urlaub war so schön, und er war so schnell vorbei! Jetzt habe ich eine Ausrede – und kann außerdem Wache halten.
Schon eine halbe Stunde später höre ich, dass zwei Boote vom Hafen aus flussaufwärts tuckern. Sehen kann ich nichts, denn es ist mittlerweile dichter Nebel. Morgens bemerken wir, dass die Tonne in der Nähe unseres ersten Ankerplatzes an einer Mooringtonne vertäut ist. Erst gegen Mittag – bei Stillwasser – wird sie geborgen und in den Hafen geschleppt.
Welche Kraft die Strömung hatte, erfahren wir am Nachmittag. Bei halber Tide wollen wir gegen den Strom auslaufen – und schaffen es einfach nicht. Unsere Logge zeigt satte 5 Knoten, aber wir bleiben auf der Stelle stehen. Gegen diesen Strom kommen wir, weil auch der Wind mittlerweile voll auf unsere Nase bläst, nicht an. Wir drehen ab, gehen nochmal an die Tonne und laufen erst am frühen Abend in Richtung Rota aus.
Um halb zehn machen wir dort fest – da, wo wir vor über einer Woche Felix an Bord genommen haben. Felix – und auch Hanna – aber sind mittlerweile längst wieder in Deutschland.
„Jau! 28 Grad und Sonne“, simst Felix zufrieden. Von Hanna hören wir: „Ich hoffe, die Tonne hat Euch nicht wieder behelligt… War ein schöner Urlaub, trotz des vielen Adrenalins…“.
Das fanden wir auch!
Beim Segeln ist es einfach so: Irgendwas ist immer!
Es grüßt Euch,
Barbara
– Vorherigen Törnbericht lesen – Nächsten Törnbericht lesen –
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