Mai 2019, Galicien – (TL) Wir haben den Hafen von Muros verlassen, liegen jetzt aber noch für eine Nacht gegenüber in der Bucht von Bornalle vor Anker. Warum? Winnie muss sich ein wenig erholen. Er hat sich fürchterlich echauffiert, weil der Mann seinen Spruch mit dem Wassersport wörtlich nahm und beim Einholen der Leinen ins Wasser sprang. Das war unglaublich peinlich! ::::
Freitag, d. 03.05., Muros – Seit fast einem Monat sind der Mann und die Frau jetzt an Bord, und ich und Winnie the Pilot haben mit ihnen schon so manchen Törn unternommen, obwohl es hier in Galicien noch arschkalt ist. Die beiden segeln trotzdem von Ria zu Ria, ankern mal hier, ankern mal da – aber so richtig gute Stimmung will nicht aufkommen. Liegt es am Wetter? Vielleicht. Die Frau friert ständig, obwohl der Mann versichert, es sei nicht kalt. Sie schläft des nachts mit drei (!) Decken, Wollsocken und Wärmflasche.
Vor allem aber liegt es wohl daran, dass Winnie so schlechte Laune hat. Kein Wunder. Winnie liegt seit letztem September eng verkeilt unter der Achterkoje – direkt neben dem feucht-muffeligen Cockpit-Zelt und dem dicken Sack mit dem Genacker-Segel. Er konnte sich monatelang kaum bewegen! Seit die Kuchenbude wegen des Schietwedders wieder im Dauer-Einsatz ist, hat er zwar etwas mehr Platz, aber an seinem angestammten Einsatzort am Heck ist er immer noch nicht. Er ist sehr, sehr ungeduldig und will endlich los; über die Biscaya, zur wilden Küste der Bretagne, zu den Scilly Islands und den Kanalinseln. Auf in den Norden! Endlich wieder Hochseesegeln!! Endlich wieder Windsteuern!!! Ich verstehe ihn, mir geht es ähnlich.
Seit einigen Tagen sitzen wir aber wieder mal fest, und zwar in Muros, einem kleinen Städtchen im gleichnamigen Ria im Norden Galiciens. Weiter nördlich kommt nicht mehr viel – außer Finisterre, dem „Ende der Welt“. Und dort liegt unser Problem.
Der Küstenabschnitt gilt als schwierig. Am äußersten nordwestlichen Zipfel der iberischen Halbinsel treffen die von Stürmen aufgepeitschten Wellensysteme der Biscaya und des Nordatlantiks aufeinander – und dann auf eine wilde, zerklüftete und mit vorgelagerten Felsen gespickte Küste. Sie heißt deshalb vielsagend „Todesküste“, auf galicisch „Costa da Morte“. Die Frau findet, da solle man lieber vorsichtig sein und auf richtig gutes Wetter warten.
Winnie ist entsetzt: „Schon wieder warten?! Damit wir aus jedem Törn ein Kaffeekränzchen machen?! Was kann schon passieren? Wir haben AIS, Radar und eine GPS-Navigation an Bord! Ich und TinLizzy können um Kap Horn segeln! Segeln ist Wassersport, und dass es mal spritzt, ist normal!“
Aber alles Motzen hilft nichts. Die Frau bleibt stur, und der Mann versucht nicht, sie umzustimmen – obwohl er einem sportlichen Kreuzkurs normalerweise nicht abgeneigt ist. Wir bleiben in Muros. Glücklicherweise scheint trotz Starkwind die Sonne, und im Windschatten ist es warm. Bei Sonnenschein bekommt die Frau immer gute Laune. Sie wird dann wagemutiger!
Samstag, d. 04.05., Muros – Endlich ist es soweit. Die Wetterprognose kündigt nach mehreren sonnigen Tagen mit teils stürmischen Nordost-Winden für die kommenden drei Tage einen mäßigen bis frischen Wind aus Südwest voraus. Das bedeutet zwar wieder Schlechtwetter, aber der Wind ist genau richtig für uns, das muss auch die Frau zugeben.
Wir haben den Hafen von Muros verlassen, liegen jetzt aber noch für eine Nacht gegenüber in der Bucht vor dem Strand von Bornalle vor Anker. Warum? Winnie muss sich noch ein wenig erholen. Er hat sich fürchterlich echauffiert, weil der Mann seinen Spruch mit dem Wassersport zu wörtlich nahm und beim Ablegen bzw. Einholen der Leinen ins Wasser sprang – mit all seinen Papieren und dem iPhone. Das war unglaublich peinlich!
Der Mann sprang natürlich nicht wirklich. Aber als er alle Leinen bis auf eine Vorspring eingeholt hatte, trat er zufrieden einen Schritt zurück. Leider sind die Anleger in Muros ziemlich schmal …
Die Frau hat blitzschnell reagiert. Sie ließ sich vom Mann zunächst das Portemonnaie und das iPhone geben hat dann die Badeleiter heruntergelassen, so dass er ganz fix wieder an Bord krabbeln konnte. Wenig später sind wir ausgelaufen, als sei nichts passiert. Von Winnies Kollegen auf den anderen Schiffen hat niemand etwas bemerkt….
Ich bin trotzdem nicht weit gefahren, denn jetzt sollen erstmal alle verschnaufen – und der Skipper muss sich aufwärmen. Das Wasser war eisig!
Auf Winnies Koje liegen jetzt lauter Kreditkarten und kleine Zettelchen mit Notizen zum Trocknen, und in der Pantry steht ein Teller mit ganz viel Salz, darin steckt ein Telefon. Der Mann ist der Meinung, dies helfe gegen Nässe. Er selbst liegt im Cockpit, trinkt heißen Tee und lässt sich von der Abendsonne sachte wieder auf Normaltemperatur bringen.
Sonntag, d. 05.05., Camarinas – Jetzt aber! Ganz früh holt der Mann meinen Anker ein und wir machen uns auf den Weg. Wir runden das gefürchtete Cabo Finisterre bei Sonnenschein, und bis zum Kap haben wir keinerlei Welle. Erst als wir weiter nach Norden kommen, erwischt uns die See, die sich in den vergangenen Tagen der Nordost-Lage aufgebaut hat. Das ist unangenehm, und selbst Winnie ist froh, dass wir für eine Nacht in der Bucht von Camarinas vor Anker gehen. Die Frau ist natürlich sowieso dafür.
Vor der Bucht umfahren wir einige Felsen, die kurz unter oder über der Wasseroberfläche enden und nur durch ein eigenartiges Wellenspiel zu erkennen sind. Gut, dass ich GPS und ein elektronisches Navigationssystem habe.
In der Bucht werfen wir den Anker und machen es uns gemütlich. Auch Skipper´s iPhone funktioniert nach der Salzkur wieder, und wir können einen Wetterbericht abholen. Alles im grünen Bereich!
Wir liegen ruhig wie in Abrahams Schoss und alle schlafen wie die Steine.
Montag, d. 06.05., Ria de Corme – Weiter geht´s. Die Welle hat sich etwas gelegt, aber der schöne Südwest-Wind ist uns erhalten geblieben. Auf unserem Weg Richtung A Coruna passieren wir Cabo Vilan. „Wisst Ihr, dass die Geschichte dieses Kaps der Küste ihren Namen gab?“, fragt Winnie, und setzt zu einem kleinen Vortrag an. Das kann er ziemlich gut! „Mansplaining“ nennt die Frau das, und sie ist davon immer genervt. Winnie ist aber kaum zu stoppen, und manchmal glaube ich, dass er deshalb soviel in der Kiste liegen muss.
Im Jahr 1890 jedenfalls strandete vor Cabo Vilan bei einem schweren Sturm das Segelschulschiff „Serpent“ der englischen Marine. Nur drei Mitglieder der Besatzung überlebten, weil sie glücklicherweise an den kleinen weichen Sandstrand von Trece gespült wurden. Mehr als 170 Männer aber starben in den Felsen und der wilden See vor dem Cabo Vilan.
Die Toten wurden in den darauffolgenden Tagen an Land gespült und von den Einwohnern der Gemeinde Camarinas zu Grabe getragen. Ein Denkmal auf dem „Friedhof der Engländer“ (Cimeterio dos Ingleses) erinnert noch heute daran.
Winnie ist total ergriffen. Diese Männer, noch echte Seeleute, wären ganz auf sich gestellt gewesen. Kein GPS, keine Wetterprognosen per LTE, da hieß es einfach: Das Wetter nehmen, wie es kommt! Diese tapferen Kerle hätten wirklich Grund gehabt, die Todesküste zu fürchten. Wir hingegen….
Von der Seeseite her ist von der ganzen Tragödie nichts zu sehen – der Friedhof der Engländer ist nicht zu erspähen. Die Küste ist allerdings wirklich sehr felsig, unwirtlich und karg. Hier möchte man nicht baden gehen.
Ich segle und segle, aber nach etwa 34 Seemeilen reicht es mir für heute. Als wir den Leuchtturm von Punta de Laxe querab haben, nehmen wir Kurs auf die Bucht des Ria Corme. Der Ria ist sehr klein, aber landschaftlich reizvoll. Mein Anker fällt direkt vor dem Städtchen Laxes auf einem wunderbaren Sandgrund und vor einem Strand, der seinesgleichen sucht. Reiner, weißer Sand! Dünen! Strandhafer!
Ich glaube aber nicht, das jemand Lust auf ein Bad bekommen wird. Mein Thermometer zeigt eine Wassertemperatur von 14° Celsius!
Der Mann und die Frau machen das Schlauchboot klar und fahren für eine kleine Expedition an Land. Erst nach Stunden kommen sie zurück – und sind begeistert, wie schön die Bucht ist. Winnie aber ist wieder mal fassungslos. „Schöne Bucht?? Und wieso merken sie das erst jetzt? Sie waren doch früher schon hier….“. Er hat Recht. Die Bucht war auch schon vor vier Jahren schön, als wir auf dem Weg Richtung Süden waren. Da hatten die beiden es aber einfach sehr eilig und haben das glatt übersehen!
Dienstag, d. 07.05., A Coruna – Schöne Bucht hin, schöne Bucht her – auch diesmal müssen wir schnell weiter! Die Salzkur war tatsächlich erfolgreich. Skippers´ iPhone funktioniert immer noch, und der Wetterbericht sagt, dass schon heute Abend gegen 19 Uhr ein satter Südwest-Sturm einsetzen wird. Des nachts wird es Böen bis zu 9 Beaufort geben, und am morgigen Tag wird der Wind mit bis zu 10 Beaufort wehen. Also nichts wie los und auf nach A Coruna!
Ich lege mich ordentlich ins Zeug und sause mit ausgebaumter Genua und einfach gerefftem Groß zum sicheren Hafen. Um 14.00 Uhr schon haben wir den Torre de Hercules querab. „Seit hunderten von Jahren schon zeigt der den Schiffen den Weg nach A Coruna, und schon die Römer“, setzt Winnie gerade zu einem weiteren Vortrag an, doch …
Wir haben den Torre kaum passiert, da legt auch Rasmus los. Es kachelt jetzt ganz ordentlich, und alle haben zu tun. Winnie hört niemand mehr zu. Mit den ersten kräftigen Böen laufe ich – die Genua ist mittlerweile komplett weggerefft – in den Stadthafen von Coruna ein. Erst dort können wir auch das Groß bergen.
In der Marina nimmt ein Marinero meine Leinen an. Wir liegen hier sicher. Und das Gute ist: Vor uns in Luv liegt ein riesiges Kreuzfahrtschiff. Das versaut meiner Crew zwar die Aussicht, aber es wird – solange es dort liegt, die dicksten Kracher von mir fernhalten.
Gegen den Regen allerdings wird es nicht helfen. „Macht nix!“, kräht Winnie von unten. „Segeln ist Wassersport!!“
– *Vorherigen Törnbericht lesen* – Nächsten Törnbericht lesen –
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